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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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ohne Erhitzen eines Kessels aus der Leitung kam. So muss es den Indianern ergangen sein, als sie das erste Mal Glasperlen sahen: Toto betrachtete seine Hand, die vom heißen Wasser rot wurde. Da war er also, der Primärkontakt mit dem Kapitalismus, den es morgen zu entdecken galt, und da war auch morgen noch genug Zeit, den Drogensüchtigen gut zuzureden, es stand ja nicht zu erwarten, dass ausgerechnet über Nacht der Kalte Krieg eskalieren und Russland eine Atombombe schicken würde, um die Welt zu befreien.

Und weiter.
    Toto, sich Mut machend, an Bomben denkend, an die wahnsinnige Angst, die man Kindern im sozialistischen Teil des Landes gemacht hatte, vor der amerikanischen Atommacht mussten sie sich fürchten, und Filme mussten sie sehen, über Hiroshima, um zu begreifen, was ein echter Klassenfeind so auf dem Kerbholz hat, Toto stieg die kalte Steintreppe ins Erdgeschoss. Er folgte den Stimmen und sah sich bald im Speiseraum der Gemeinschaft. Auf Sitzkissen lümmelten sie, hatten Teller in der Hand und waren nackt, wie Schnecken ohne Haus. Das Sie-waren-nackt hatte nur in Totos Kopf stattgefunden, er hatte ein Grauen erwartet und beruhigte sich langsam, die Menschen trugen korrekte Leinenkleidung und aßen ernsthaft, sie schienen bewusst einzuspeicheln, hatten den Anschein von kauenden Schildkröten. Es wurde nur selten gesprochen, und wenn, dann völlig ohne einen für Toto erkennbaren Zusammenhang.
    Ein Mann, ja, vermutlich war es einer, seine Haare standen wie Antennen in die Luft, sagte, in seiner Studie über den Ursprung der Familie schreibt Engels: Die moderne Einzelfamilie ist gegründet auf die offne oder verhüllte Haussklaverei der Frau, und die moderne Gesellschaft ist eine Masse, die aus lauter Einzelfamilien als ihren Molekülen sich zusammensetzt. Der Mann muss heutzutage in der großen Mehrzahl der Fälle der Erwerber, der Ernährer der Familie sein, wenigstens in den besitzenden Klassen, und das gibt ihm eine Herrscherstellung, die keiner juristischen Extrabevorrechtung bedarf. Er ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat .
    Ja, aber, die Frau spuckte, der Kommunismus ist auch eindeutig männlich konnotiert. Es war Ilse, die Exfrau von Hans.
    Komm, setz dich zu uns, rief der und klopfte auf den freien Platz neben sich. Nimm dir was zu essen, sagte er und deutete zu dem Körnerbuffet.
    Ich würde gerne über die Gefahren gespritzten Saatgutes reden, sagte ein anderer Mann, doch keiner schien darauf Lust zu haben, sie aßen weiter ihre ungespritzten und unbehandelten Körner.
    Kapitalismus und Patriarchat sind untrennbar miteinander verbunden. Sagte eine Frau mit beeindruckend großen Brüsten. Sie schien stolz auf die gelernten Zitate, doch Toto war zu müde, um sie zu loben, denn schließlich verlässt man nicht jeden Tag sein Herkunftsland, begeht eine Republikflucht und landet in einer revolutionären Zelle.
    Toto nahm sich vom Buffet, wo Schüsseln mit grauem, erdigem Essen standen, ein wenig Pampe. Er setzte sich aufs Fensterbrett, niemand schenkte ihm eine große Aufmerksamkeit, oho, der Hirsebrei, eine sehr gute Wahl, rief die Frau mit den großen Brüsten Toto erfreut zu, und der nickte, ohne sie anzusehen. Nein, ansehen konnte er die Menschen nicht, wenn er essen wollte. Und so betrachtete er seinen Hirsebrei mit großer Aufmerksamkeit. Als die Schale leer war, hob er vorsichtig den Blick. Die Menschen waren zum Trinken übergegangen und schenkten sich beherzt Wein nach.
    Raimund trat so plötzlich auf, als sei er vom Himmel gefahren. Er trug eine Art Gewand, Toto wusste nicht, dass es ein einfacher chinesischer Arbeitsanzug war, was da den Leib des Führers verhüllte. Ungeachtet der Anstrengung des Tages stand noch eine Sitzung auf dem Protokoll, und in die Gruppe geriet Bewegung. Die Körnerschalen wurden beiseitegestellt, ein Getuschel und Gerutsche, die Haferkekse blieben unberührt. Die Anwesenden, der jüngste sechsunddreißig, die älteste zweiundsechzig, alle mit der Ausstrahlung jener, die sich ungesund ernähren und die Sonne meiden, mit dem Geruch nach Körper und unsorgfältig gewaschenem Haar, in einem Raum ohne geöffnetes Fenster. Raimund hatte in einem Buch über Bhagwan gelesen, dass dieser keinen Parfüm-, Seifen- oder Shampoogeruch ertrug, und hatte sich diese kleine Marotte angeeignet.
    Vor zwei Jahren hatte Raimund seine ersten Anhänger selektiert, er war der Gründer der Revolutionären Zelle Süd, mit der er ein wenig zu spät

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