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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Flughafen, Kernkraftwerke, Müllhalden, Hochhäuser, das kann man alles beseitigen, aber warum muss man sich dabei von Licht ernähren und Kommunist sein? Das alles war zu viel für Toto. Mit dem Kommunismus war er aufgewachsen, und er hätte der Gruppe erklären können, dass auch diese Gesellschaftsordnung nur von Menschen gemacht worden war. Toto wusste nicht zu sagen, ob es wirklich den Lehren von Marx und Engels zuzuschreiben war, dass es keine tuberkulösen, geschundenen Arbeiter mehr gibt? Vielleicht hat sich einfach nur die Zeit geändert und die TBC ist ausgestorben, die Arbeiter heißen heute Angestellte und frieren nicht mehr.
    Toto brachte sich zwar nicht ideell, sonst aber prächtig in die Gruppe ein. Er half beim Saubermachen, in der Küche und versuchte sich ansonsten mit dem Kapitalismus zu verbrüdern.
    Jeden Tag machte er einen Ausflug in die Stadt, denn Toto glaubte daran, dass man alles verstehen kann, wenn man es nur oft genug betrachtet.
    Das Große Funkeln des Kapitalismus jedoch hatte er bisher nicht gesehen. Die grellen Verpackungen der Waren sagten ihm nichts, er verstand die Supermärkte nicht, die Tankstellen, Würstchenbuden, Schnellwäschereien, Autowerkstätten, Drogeriemärkte, Schnellkreditfirmen, Pappaufsteller, Getränkemärkte, warum musste das alles so aussehen? So abspritzbar, warum trugen die Menschen, die ihn anstarrten, diese unglaublich bunten Trikotagen, und warum hatten alle blondierte Strähnen im Haar? Toto hatte sich die Abwesenheit von gutem Geschmack im sozialistischen Teil des Landes immer mit Mangelwirtschaft erklärt. Langsam vermutete er jetzt, dass die Verweigerung von Schönheit menschlich war. Vielleicht gibt es Länder, in denen alles besser aussieht, aber die kannte Toto nicht, er kannte ja noch nicht einmal sein neues Umfeld.
    Toto war im Andere Ufer gewesen, ein Schwulencafé, aber hallo: Schwulen-Schrägstrich-Lesben-Café, sagten die Lesben, auch hier keine Einigkeit, kein Schulterschluss der Ausgegrenzten, es gelang den Schwulen-Schrägstrich-Lesben wie den Grünen oder den Anarchisten, den Feministinnen oder Royalisten nicht, ihr Ego einem größeren Thema unterzuordnen.
    Sie waren doch alle mit so einer Hoffnung in ihr neues Leben getreten; nach der Angst und Unsicherheit, nach nächtelangem Zweifel hatten sie geglaubt, der Rest ihres Daseins werde ein Spaziergang sein, wenn sie sich nur erst einmal offen bekannt hatten. Das erste Mal Hand in Hand auf der Straße mit ihm oder ihr, das Kate-Millett-Buch, das immer aus einem Beutel ragt, das Halstuch aus der Hosentasche, der erste öffentliche Kuss, Freunde, Partys, und dann diese Scheißenttäuschung, da geht das Leben weiter wie vorher, die Aufregung hält sich in Grenzen, die meisten Menschen in der mittelgroßen Stadt zuckten mit den Schultern, bei diesem mutigen, immer etwas aggressiven, Ablehnung erwartenden Satz: Ich bin homosexuell. Trotz im Blick, abgeprallt an leeren Augen. Und dafür die ganze Anstrengung? Für ein Schulterzucken gelangweilter Mitteleuropäer.
    Da hatten sie Selbstmordversuche hinter sich und Selbsthilfegruppen und heimliche Phantasien und Schuldgefühle, und das ganze Theater nur, weil man sich eventuell in irgendwen verlieben mag oder sich mit ihm paaren, und das geht doch keinen etwas an, was man liebt und warum man liebt, geht doch keinen etwas an. Und normal wird das doch nie, in diesem Leben. Fast überall auf der Welt. Den Eltern muss man es sagen. Keine Ahnung, warum, die Eltern reden doch auch selten mit den Kindern über ihre Liebe, aber so sind die Regeln der Sühne, des gelungenen Coming-outs. Ein Nachmittag in der Kleinstadt. Schnee fällt in pampigen Flocken in den betonierten Vorgarten, die Mutter rennt ins Freie, wie wahnsinnig kehrt sie den Schnee zusammen. Seit dem Nachbarschaftsstreit muss man mit Naturphänomenen vorsichtig sein. Sie haben Klage eingereicht gegen die Nachbarn, die ihr Laub erst nach kompletter Entlaubung der Bäume entsorgen. Das ist doch eine aberwitzige Sauerei, was kann da alles passieren, es sind doch schon Kriege wegen glitschigem Laub verlorengegangen, vom Schnee gar nicht erst zu reden. Stalingrad ohne Schnee, ein Spaziergang wäre das gewesen! Der Vater liest die Zeitung, er hält sie verkehrt herum, er will seine Ruhe. Und dann steht der Tim da, die Mutter noch rot von der Kälte, der Vater in Zigarre gehüllt. Ich muss mit euch reden. Ja, Tim, sagt die Mutter, hat das nicht Zeit, bis ich den Kuchen, nein, ich muss jetzt mit euch

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