Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
Vom Netzwerk:
menschlichen Auswurfes. Hier war wenigstens klar, dass ihn nichts mit den Menschen in den Nebenwohnungen verband, in den teuren Vierteln wären doch sicher Nachbarn gewesen, die Werbeagenturen besaßen oder Versicherungsbroker waren.
    Kasimir sehnte sich mit einer Kraft nach Schönheit, dass es ihm körperliche Qual bereitete. Hässlichkeit machte ihn über Gebühr böse, ja, er wurde ganz verrückt, wenn ihm hässliche Gegenstände, Gebäude oder Menschen begegneten. Da die Stadt, die den Grundstein seiner Karriere legen würde, großflächig im Krieg zerbombt und beherzt in den sechziger und siebziger Jahren wiederaufgebaut worden war, erstickte man fast an dem unästhetischen Gesamtbild, das sie bot, und Kasimir war es nicht vergönnt, Hässlichkeit auszublenden.
    Er wusste, er musste aushalten, es war eine Frage der Zeit, dass er den Ort fand, der in seinen Gedanken jetzt schon bestand, dort, wo er ohne Qual wäre und endlich mit sich in einer Einheit lebte. Er hatte keine Ahnung, was für ein Gefühl das wäre, endlich in sich zu sein, sich nicht fremd, sich nicht reden zu hören, lügen zu hören, sich nicht zu berühren mit dem Gefühl, etwas Fremdes anzufassen, die Einsamkeit, die machte es unerträglich, und schwer zu sagen, wie es sein würde, wenn er ein Mensch wäre, der sagen kann: Oh, ich bin gerne Mensch, ich bin gerne mit mir, wir verstehen uns prächtig, ich und mein Ego, und mein Körper ist immer dabei, immer putzmunter.
    Der Ort war der Schlüssel, Antwort auf die Frage wozu. Tuche mit Stickereien, Stores, durch die sanftes Licht fällt, perfekte Böden aus geöltem Holz, das zart nach Honig riecht, vollendet polierte Möbel und Kiefern vor dem Fenster, die leise Geräusche machen. Das Wetter würde harmonisch sein, es würde den Körper nicht berühren. Es gäbe keine Körper, keine Hässlichkeit, es gäbe keine Frauen. Kasimir hatte einige Male Prostituierte in seine Erdgeschosswohnung geholt. Er hatte junge gewählt, reinliche, hübsche. Er hatte sich den Körper einer jungen Frau wie den einer Puppe aus Plastik vorgestellt, glatt und kühl, und war nicht auf das vorbereitet gewesen, was er hatte sehen müssen. Das Fleisch und die Poren, Haare und Schuppen, Knie mit Falten, große Ohrmuscheln, hässliche Füße, hässliche Scheiden, und die Brüste, das war das Schlimmste, diese Brüste, dieses Fettgewebe. Es stand natürlich außer Frage, mit so einer Person geschlechtlich zu werden. Er hatte aufgegeben. Und wandte sich umso intensiver seiner Karriere zu, denn wie nackte Männer aussahen, wusste er, da musste er nichts erforschen, das verbot sich von selbst, so ein Männerkörper, der weit entfernt war von jeglicher Vollkommenheit.
    Kasimir liebte die Arbeitstage; nur der Abend, die Feiertage, die Sonntagsunterbrechungen mit ihrer Suizidluft machten ihm zu schaffen.
    Kasimir sah auf die Straße vor seinem Haus, wo Obdachlose sich im Schein von Striptease-Bars ein Nachtlager bereiteten.

Und weiter.
    Toto hatte nach seinem Rauswurf aus dem Obdachlosenheim ratlos in einem Hauseingang gesessen. Er hatte auf den Müll in der Atmosphäre gelauscht. Das wird die Menschen krank machen, aggressiv machen, vielleicht werden sie sich irgendwann umbringen, nur weil sie von diesem Krach verrückt geworden sind. Die Luft erfüllt von Geräuschen, die eng zusammenstehenden Häuser spielten sie sich zu. Knatternde Autos, hupende Busse, kreischende Bohrer, Fahrradklingeln, Kaffeemühlen, Haarföns, Staubsauger, Radios, Plattenspieler, Fernseher, Mopeds, Presslufthämmer, Abrissbirnen, Toto beendete seine innere Auflistung. Vielleicht könnte die Welt nach Überwindung all jener lärmerzeugenden Dinge, auf die sie so stolz ist, durch eine Verfeinerung der allgemeinen Zustände wieder in eine Stille finden, aber das würde Toto nicht mehr erleben. Die ständige Beschallung im öffentlichen Raum, so nannte der Kapitalist die Plätze, an denen sich Menschen bewegen konnten, ohne dafür zahlen zu müssen, war ihm schon unangenehm aufgefallen. In jedem Geschäft, jedem Café lief Musik oder sangen Vögel, rauschten Bäche, alles, damit der Mensch nur nicht mit einer Stille konfrontiert war, die er nicht mehr ertrug, die ihn verjagte, er sollte doch kaufen, bleiben, shoppen, sterben. Menschen hassen Stille, schon vor ihrer Geburt ist da ein Getöse um sie, die Verdauung der Mutter, die Därme, das Blut, das Herz. Ob Menschen, die in Petrischalen gezeugt und in Gebärmaschinen herangereift sind, also in absoluter

Weitere Kostenlose Bücher