Vielen Dank für das Leben

improvisierten Kapelle gibt es nur eine kleine Empore aus Sperrholz, noch nicht mal eine verdammte Kanzel hat er unter seinen Füßen, nicht einmal ein ordentliches Gewand trägt er, nur diesen Kittel, den er sich selber geschneidert hat, verfluchter Mist. All das Unrecht, das ihm in seiner Laufbahn widerfahren war, alles hatte eine Ursache, und die saß da vorne, ein paar Meter von ihm entfernt. Schnell ging er auf Toto zu. Und die Männer im Raum, die es noch nicht mal in den achtziger Jahren schafften, mit Bravour zu überleben, in diesem gnädigen Jahrzehnt, da junge Menschen bis Mitte dreißig in Wohngemeinschaften lebten, kaum Miete zahlten, sich in Bands versuchten oder in Kunst und nachts in Küchen arbeiteten, um dann irgendwann eine sichere Stellung zu finden, als Kunstprofessorin in Düsseldorf oder als Schriftsteller oder Musiker, in diesem laschen Jahrzehnt, das noch weit entfernt war von dem Jahrzehnt der Beschleunigung, welche die Welt wenig später beherrschen würde, diese Männer beteten zu einem Gott, an den sie nicht glaubten, für eine Suppe und ein Bett, und hatten nun einen gefunden, auf den sie hinunterblicken konnten, und natürlich kann man eine solche Chance nicht unbenutzt verstreichen lassen.
    Toto verstand weder, warum die Stimmung sich plötzlich geändert hatte, noch womit er die Aggressionen hervorgerufen hatte, aber ihm war unwohl, die Männer zu nah, die wollten dem Priester zeigen, dass sie anders waren, besser waren, sie hätten dieses große Ding, das da stand mit seinem einfältigen Gesicht, mit seinem sanften Lächeln, ohne Zögern erschlagen, denn sie waren gute Männer, sie erfüllten ihren Betauftrag, sie machten die Nonnen glücklich, sie würden essen und schlafen und irgendwann aus dem Heim verschwinden. Und weitersaufen, und an einer Leberzirrhose sterben, mit fünfzig, ein ehrliches Dasein. Es war das erste Jahrzehnt, das sich in großem Umfang Verlierer leistete, vorher gab es doch immer nur die, die arbeiteten, und die, die es aus familiären Gründen nicht nötig hatten. Es war der Beginn des Untergangs der westlichen Welt, aber das ahnte hier noch keiner.
    Langsam, rückwärts verließ Toto die Kapelle, er schaffte es, ohne aufgehalten zu werden, atmete tief durch, kalt war es nicht vor der Tür, es schien in dieser nordischen Stadt keine Jahreszeiten zu geben, nur Feuchtigkeit, und es wehte ein strenger Wind. Willkommen im letzten Jahrzehnt des alten Jahrtausends, stand auf einem Schild, das über einer Kneipe hing, wenige Meter und gestolperte Schritte neben dem Männerheim. Toto verstand die Botschaft nicht, der Wind irritierte ihn.
    Auf der Treppe vor dem Lokal saßen junge Menschen neben ihren Bierflaschen und starrten gelangweilt in den hereinbrechenden Abend, und Schiffssirenen waren neben den lauten Warnsignalen großer Kräne im Hafen zu hören. Es hätte schön sein können, hätte nicht ein seltsamer Schleier über allem gelegen. Eine Apathie, die sogar die Gebäude erfasst hatte. Als wollte die Welt die Jahre bis ins neue Jahrtausend verschlafen. Als glaubten die Menschen, dann würde die Zukunft sofort beginnen, die sie so sehr erwarteten. Ohne Alter, ohne Probleme, und mit fliegenden Autos.
    Willkommen, mein Freund, in unserer nordischen Stadt, wo die Menschen über sehr kräftige Knochen und eine kolossale Unfreundlichkeit verfügen, sagte Toto zu sich selbst, es sagte ja sonst keiner was.
    Toto betrachtete das Umfeld, in das er zufällig gespült worden war, es war ihm so gut wie jedes andere. Seinem Leben einen Verlauf aufzwingen zu wollen oder unzufrieden zu sein, fiel ihm nicht ein. Toto wusste nicht, dass im gleichen Moment Menschen barfuß auf einen vertikutierten Rasen traten, wie Aale in einen Pool glitten, um danach in den privaten Jet zu schlüpfen, er wusste nicht um Schönheit und um die raren intakten Plätze auf der Welt. Toto war mit sich zusammen, er war beschäftigt mit der Betrachtung der neuen Umgebung, und er war zufrieden. Das Obdachlosenheim, die Bosheit waren vergessen, Toto hielt sich nicht mit Vergangenem auf, die Sekunde, in der er sich befand, verlangte nach seiner vollen Aufmerksamkeit.
    Das war der Westen, der berühmte Westen, warum funkelte der nur nicht? Warum erzeugte er keine Zufriedenheit in den Gesichtern der Leute? Die halbe Erdbevölkerung wollte hier leben, in dieser Kälte, in diesem Wind, und durch diese baumlosen Straßen tigern, warum war das den Bewohnern dieser Stadt nicht klar, warum erzeugte es kein