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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Glücksgefühl, so privilegiert zu sein?
    Vor der Polizeistation saß ein weinender dicker Mann, die Prostituierten standen an den Straßenrändern und trugen grell, Polizeisirenen übertönten den Lärm der aufgeregten Touristen, alles wie aus Pappe, nachlässig geformt.
    Entschuldigung, wenn ich dich anstarre, sagte ein älterer Mann, der wie eine Taube wirkte. Bist du hier aus einem Club? Travestie oder so? Es war nicht neu für Toto, angestarrt zu werden. Es war beunruhigend. Es lag Totos Wesen sehr fern, auffallen zu wollen, und er sah den Mann, der ihn angesprochen hatte, interessiert an. So frei jeder Eigenschaft war er, bar jeden Merkmals, dass vermutlich öfter Menschen durch ihn hindurchliefen.
    Nein, sagte Toto, ich weiß gar nicht, wovon Sie reden.
    Naja, ich meinte nur. Sagte der Mann. Du siehst aus wie ein Transvestit, stört es dich, wenn ich ein paar Schritte mit dir gehe, ich laufe sehr gerne neben Transvestiten. Fragte der Mann, und Toto überlegte so lange, dass sich eine Antwort irgendwann erübrigte. Der hässliche Mann lief ja schon neben ihm, mit doppelter Schrittzahl. Ich bin gesprächig, sagte der Mann, ich habe schon ein wenig über den Durst getrunken, da werde ich immer gesprächig. Während ich über den Durst trinke, seh ich mir alle in der Kneipe an, und ich bin mir absolut sicher, dass keiner so eine schreckliche Kindheit hatte wie ich. Toto nickte, er schaute den Mann mitleidig an, von oben nach unten, sogar sein Hintern war traurig, und er nahm sich vor, dem armen Mann aufmerksam zuzuhören. Du siehst echt komisch aus, sagte der, hat dir das schon mal jemand gesagt? Toto schwieg, eine Technik, die sich immer bewährte und fast jeden ins Plaudern brachte. Ich gehe in einen Live-Club, sagte der Mann, ich hab da Beziehungen, willst du mitkommen. Toto war jedes Ziel recht, um den Kapitalismus zu begreifen, also würde er mit einem hässlichen kleinen Mann, der befand, dass er, Toto, merkwürdig aussah, eben einen Live-Club aufsuchen. Weißt du, ich komme einmal die Woche hierher, einmal die Woche gönn ich mir was. Toto seufzte. Haben Sie geseufzt? fragte der Mann. Das habe ich, sagte Toto, es ist meine Art, Mitgefühl auszudrücken. Ja, Mitgefühl, das erfährt man heute viel zu wenig, fuhr der Mann fort, Toto nickte. Es wollten sich bei ihm keine Sätze einstellen. Die Kunst der Unterhaltung enträtselte er nicht, außer nicken und den Kopf schütteln beherrschte er wenig aus dem Repertoire menschlicher Kommunikation. Der Mann neben ihm redete weiter, was Toto wieder einmal klarmachte, dass den meisten gar nicht an einer Unterhaltung gelegen ist, sie wollen laut denken, vor sich hin brabbeln, neben einem Artgenossen, weil es als schrullig gilt, mit sich selbst zu reden.
    Im Club war es dunkel, und ein Geruch nach Rührei herrschte vor. Ein kleiner Tisch, zwei Polsterstühle mit abgegriffenem Bezug. Wir haben noch nichts verpasst, gleich geht es los, es geht immer zur vollen Stunde los, flüsterte der hässliche Mann und starrte mit geöffnetem Mund auf den geschlossenen Vorhang. Von der Seite wirkte er wie ein Huhn, und Toto hatte ein großes Mitgefühl für ihn. Ein armes, kleines, gelbes Huhn, das einmal pro Woche in eine Live-Show geht und davon träumt, einen Menschen kennenzulernen, mit dem er so vertraut würde, dass er sich in tiefem Einvernehmen von ihm verzehren ließ. An einem polierten Nussbaumtisch mit einer großen gestärkten Serviette um den Hals würde der Mann seine Einzigartigkeit feiern, das Überspringen von moralischen Grenzen, und er würde dadurch unsterblich. Dachte er.
    Der Vorhang öffnete sich. Zwei Erwachsene kamen in einem Rotkäppchen- und einem Wolfskostüm auf die Bühne, Synthesizermusik, der Wolf entledigte sich seines Fells, behielt aber seinen Wolfskopf auf und steckte sein Glied in Rotkäppchen. Alles geschah so ohne Grund und Übergang, ohne Gefühl und Charme, dass es war, als wohnte man jemandem beim Geschirrspülen bei. Der unauffällige Mann atmete tief, sein Mund stand offen. Im Raum, an kleinen Tischen verteilt, saßen vornehmlich ältere Männer, alle mit geöffneten Mündern, und zwei unglückliche Paare. Ohne jede Anteilnahme sahen sie das Paar auf der Bühne, durch das Paar hindurch, spürten die Hand ihrer Männer auf ihren Beinen nicht mehr, spürten nichts, vermutlich würden sie im Anschluss an die Show in einen Swingerclub gehen, und falls sie einer fragen sollte, würden sie antworten, dass sie Swingerclubs belebend fanden.

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