Vielen Dank für das Leben
Fettsack, wenn er wütend war, also meistens.
Die dicke Frau sang die letzten Akkorde. Keiner der Idioten im Raum wusste zu schätzen, was da passierte. Sie suhlten sich in ihrem Weltschmerz, starrten in ihre innere Leere und gefielen sich in Verachtung, die bleichen Junkies in dieser Bar, sie hörten nicht zu, das machte Robert völlig verrückt. Er sah sich singen, sich sah er da, übergewichtig und schwul, ja, das dicke Mädchen war bei näherer Betrachtung wohl doch ein schwuler Junge, der die Augen geschlossen hielt, an die hundertfünfzig Kilo. Ein großer Klumpen unkontrollierter Gefühle, ein verdammtes Genie. Könntet ihr bitte einfach mal die Fresse halten, ihr untalentierten Schweine, schrie Robert. Er begann zu weinen und war so außer sich, dass er selbst das Eintreffen der Polizei nicht mehr bemerkte, der es gelang, den Tobenden zu beruhigen. Auf Nachfrage wollte der Besitzer der Bar keine Anzeige erstatten, die Polizisten verließen die Bar, nicht ohne die herumschlierenden Gestalten verächtlich zu mustern. Als Robert wieder zu sich fand, hatte der dicke Schwule seinen Gesang beendet und wusch Gläser. Robert trat zu ihm. Guten Abend, ich bin Robert. Opernsänger. Es würde mich glücklich machen, wenn ich dich ausbilden dürfte. Es bestünde auch die Möglichkeit einer Unterkunft, sagte er und überreichte Toto seine Karte.
Und weiter.
Als Toto an jenem Abend, nach dem Auftritt des seltsam gasförmigen Mannes, der wirkte, als hätte er eine Fliege getragen, in sein Zimmer kam, wurde es draußen bereits hell. Vielleicht war ja Frühling, das konnte man in der im Norden gelegenen Stadt nie genau sagen, denn kalt war es fast immer, windig meist, und es ging ein feiner Regen. Müde sah Toto in den Hof vor seinem Fenster. Wo immer sich Menschen aufhalten, schlagen sie Schneisen des Grauens; wenn sie die Möglichkeit zwischen Schönheit und absurder Ekelhaftigkeit wählen können, entscheiden sie sich stets für das Unfassbare, vielleicht, weil sie mit der Umgebung verschmelzen wollen.
Übrigens, ich brauche das Zimmer morgen.
Tom stand bleich in der Tür, er hatte zu viel von irgendwas erwischt. Wie meinst du, du brauchst das Zimmer? Fragte Toto. Für eine Nacht, ein paar Tage oder für immer?
Für immer, sagte Tom, ich hab es einer Freundin versprochen.
Und der Job? Fragte Toto. Und die Konzerte? Fragte er.
Ich brauche dich nicht mehr, sagte Tom. Ja, ich verstehe, sagte Toto, wer braucht schon irgendwen, aber vielleicht solltest du mir dann.
Ja? fragte Tom, und seine Stimme klang wie die von jemand, der bei einem Betrug ertappt wird und böse ist darum.
Mein Gehalt zahlen, ich habe jede Nacht gearbeitet. Seit Monaten. Tom kam so schnell auf Toto zu, als wolle er durch ihn durchgehen, kurz vor seinem Bauch bremste er ab und schrie: Bist du völlig bescheuert? Du wohnst hier umsonst, du isst auf meine Rechnung und gibst deine Konzerte, übst Klavier und arbeitest an deinem Scheißhobby, das meine Scheißgäste vertreibt, und ich soll dir was zahlen? Heute Abend bist du weg.
Tom federte aus dem Zimmer. Erstaunliche Drogen, die einen jungen Menschen aussehen lassen wie einen Achtzigjährigen und ihm gleichzeitig die Energie eines Pubertierenden verleihen.
Tom würde in sein Zimmer gehen, in dem eine Frau lag, die er nicht kannte, das war kein Beinbruch, denn auch er wäre ihr fremd, er würde schlafen, ohne sich vorher die Zähne zu putzen, und am Morgen hatte er Toto vergessen. Er vergaß alles, denn sein Gehirn war im Zustand des Dauerrauschens. Er wusste nicht, was er tat und warum, er roch nicht, dass er stank, spürte keinen Hunger und nur selten Harndrang. Seine Finger waren gelb vom Nikotin, und nicht einmal Musik vermochte noch etwas in ihm auszulösen. Tom empfand nichts für andere Menschen, und auch sich selber betrachtete er mit keinerlei Gefühl. Toto verurteilte ihn nicht. Es war nur einer mehr, der mit sich und seinen minimalen Möglichkeiten gescheitert war.
Toto hatte keinen überbordenden Zuwachs von Besitz zu verzeichnen, er nahm seine Plastiktüte, seine Kosmetikartikel, die Hefte, in die er seine Lieder schrieb, er drehte sich noch einmal um, nichts, was er vermissen würde, und wieder einmal beendete er einen Abschnitt auf seiner Reise, am Tag des Mauerfalls, von dem er nichts mitbekam, denn er musste sich Gedanken über einen Schlafplatz machen, auf einen neuen Zufall wartend.
Und weiter.
Fünf Etagen über den Horden, die aus Totos alter Heimat stammten und nun unten im
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