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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Kellner in einer Strandbar, ich würde atmen können, verstehst du, atmen, ohne dass es sticht in der Brust. Und dann klingelt der Wecker, und ich bin zu müde, möchte weinen, weil ich so müde bin, und dann trinke ich Instantkaffee, da könnte man sich übergeben, diese Plörre, die macht Magenkrebs, aber sie macht abhängig. Ich bin sehr gerne abhängig, es gibt mir Halt. Ich trinke diesen Instantkaffee, weil ich mich dann fühle wie zwei Menschen am Strand mit Rosen in der Hand. Rosen, das sind doch die Schäferhunde unter den Blumen. Ich gehe in mein Büro, das ich mit zehn anderen teile, und dort machen wir unsere Arbeit, ich hab keine Ahnung, wozu sie dient, und ich hab Angst, sie zu verlieren, also mache ich sie gut, die Arbeit, und habe immer Angst, dass jemand dahinterkommt, dass ich nicht weiß, was ich da mache. Ich bin so müde und werde immer gelber im Gesicht, und wenn ich Feierabend habe, dränge ich mich mit allen anderen in den Supermarkt und kaufe irgendwas, das ich nur erwärmen muss, und eine Frau habe ich natürlich nicht, ich hab’s verpasst, und nun bin ich zu müde und gelb im Gesicht, und dann wird es dunkel, ich gehe heim und esse, sitze danach da, mit offenem Mund, sehe die Wand an, ob da schon Risse aufgetreten sind, und es ist mir ein Rätsel, woher ich die Kraft nehmen sollte, irgendwohin zu gehen, ich könnte noch nicht mal einen Koffer packen, verdammt, ich habe ja noch nicht mal einen Koffer. Und dann kommt das Bier, und dann kann man mich eh vergessen, ich falle ins Bett und habe vor dem Einschlafen die Idee, dass ich einfach weggehen sollte, am nächsten Tag.
    Die Männer, die Toto ihre immergleiche Geschichte erzählten, sahen aus wie Wasser. Sie hingen an der Bar und waren meist sogar zu müde oder zu geizig, sich eine Frau zu kaufen, sie schauten nur, vielleicht onanierten sie kostensparend zu Hause. Gegen eins, drei Durchläufe Live-Sex und unendlich viele Stripteasenummern später, endete Totos Schicht; auf der Straße vor dem Lokal das übliche Gedränge von Touristen aus der Provinz, der Geruch von altem Öl, in dem alte Kartoffeln schwimmen, und das Geschrei der Animateure vor den Bars. Ein paar Straßen weiter lag die Bar Centrale. Nach all den dunklen Kellerbars, dem Schwarz an den Wänden, legte man in modernen Bars Wert auf eine Helligkeit, die den Gästen keinen Gefallen tat. Hier verkehrte die Jugend des kommenden Jahrtausends, hervorragend ausgebildet, gut gekleidet, mit gepflegtem Haar und sauberen Nägeln. BWL war das Studienfach der Saison, man trug Blau. Marketing war die Überschrift des kommenden Jahrtausends, und alle freuten sich sehr darauf. Endlich gaben die, die in den letzten zehn Jahren als phantasielose Langweiler gegolten hatten, den Ton an. Toto setzte sich ans Klavier. Jeden Samstag um eins, für eine halbe Stunde.
    Und jeden Samstag, wenn Toto am Klavier in der Bar Centrale saß, war der Gastraum überfüllt mit jungen grauen Mäusen, die johlten, klatschten und die Texte mitsangen.
    Eine halbe Stunde sang Toto und weinte dabei, seine Stimme war so hoch und klar wie die einer wahnsinnigen Frau, er schlug auf die Klaviertasten ein, und danach fühlte er sich leer und unglaublich traurig. Dann stand er auf von seinem Klavier, das Publikum trat zur Seite, und Toto hatte eine Idee davon, wozu sein Leben taugen könnte.

Seit er Toto wiedergefunden hatte,
    durch einen Zufall, vor seiner Haustür, vor über einem Jahr, hatte Kasimir ihn nie mehr aus der Beobachtung entlassen. Er wusste zu jeder Zeit, wo Toto sich aufhielt und warum. Er hatte Pläne, um deren Nähe zu geisteskranker Besessenheit er wusste.
    Jeden Samstag beobachtete Kasimir in der Bar Centrale in einer Ecke stehend Totos Auftritte.
    Gut genährt standen die Menschen, in Erwartung des Spektakels. Gleich würden die siamesischen Zwillinge kommen, die zwergwüchsige Frau, jeden Moment träte Florence Foster Jenkins auf, um sich zum Gespött zu machen, sie hatten eine Erregung im Blick, da galt es etwas Peinliches zu beobachten, einen zu sehen, dem sie sich überlegen fühlen konnten, ihre Gesichter glänzten, die Münder waren bereits jetzt, vor dem Ereignis, zusammengepresst, verächtlich nach unten verzogen, sie würden etwas sehen und hören, das sie nicht verstanden, worüber sie sich amüsieren konnten. Kasimir hasste jeden von ihnen.
    Bei den ersten Konzerten hatte er kurz geglaubt, das Publikum verstünde, was es da sah, und würde mit Toto weinen und sich erregen lassen von ihm, bis

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