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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Rotlichtbezirk die Große Freiheit entdeckten, saß Toto auf seinem Balkon.
    Er empfand eine unklare Traurigkeit, wenn er Leute von daheim sah, von damals, in Jeansbekleidung, mit versauten Dauerwellen und diesem Staunen. Darum also haben sie uns betrogen, staunten sie, um Nutten und Makrele in Tomatensoße, das alles hätten wir die letzten dreißig Jahre haben können, eingefärbt von diesem herrlichen Neonlicht.
    Guten Tag, mein Balkon, sagte Toto, wann immer er seinen Lieblingsort betrat.
    Wunderbar, dieser Kapitalismus, der jedem eine Wohnung schenkt, der sie zahlen kann! Durch seine verschiedenen Beschäftigungsverhältnisse, Toto liebte das Wort Beschäftigungsverhältnis, es entsprach dem Bild, das er bislang vom Kapitalismus bekommen hatte, wäre es ihm möglich gewesen, sich auch ein Auto zu leisten, doch wozu sollte er ein Auto besitzen, wenn er nirgendwo hinfahren wollte. Das Auto war dem Menschen dieses Landes das letzte Stück der Großen Freiheit, und sah man, wie sie es putzten und liebten, dann konnte einem recht traurig werden, es streichelte nie zurück, dieses verdammte Auto. Und dann wurden sie wütend, in ihrer unerwiderten Liebe, und fuhren sich auf Autobahnen zu Tode.
    Toto hatte einen denkwürdigen Ausflug an ein kaltes Meer gemacht, um seine Umgebung zu erforschen. Die Bahn hatte ihn in einen Ort gebracht, der aus einer Straße bestand, wo rote hässliche Backsteinhäuser klebten, aus den Fenstern blickten die Kinder von Bruder und Schwester. Toto war Stunden gegen einen kalten Wind angelaufen, er hatte das Meer gesucht, das er aufgrund der herrschenden Ebbe nicht gefunden hatte. Es gab, befand Toto, wirklich keinen Grund, die Stadt nochmals zu verlassen, denn Hässlichkeit traf man auch da genug, ja eigentlich existierte kaum etwas Schönes, außer seiner ständig überheizten Wohnung.
    Im ehemaligen sozialistischen Teil des Landes, wie Totos alte Heimat, bemüht um absolut korrekte politische Korrektheit, genannt wurde, war nicht daran zu denken gewesen, dass einer wie er eine eigene Wohnung besaß, die Leute bekamen Zimmer zugewiesen oder Mitbewohner, sie warteten Jahre, um in einen Plattenbau zu ziehen, in dem es warmes Wasser gab. Wohnen im Sozialismus, das war Kälte, das waren kleine gusseiserne Öfen, die Wohnungsbrände verursachten, Badewannen, in die man Wasser schöpfte, das man zuvor auf einem Kohleherd erwärmt hatte, das war frieren, immerzu frieren. Toto würde wie die meisten aus dem Sozialismus stammenden Menschen sein ganzes Leben Angst vor der Kälte haben.
    Toto holte sich noch einen Kaffee, er fühlte sich wie eine Königin, die ihre Ländereien abschreitet. Die langen Haare lagen auf dem Rücken, da war der Liegestuhl mit einer warmen Decke auf dem Balkon, die Sonne stand hoch, es war Frühling, oder etwas, das ähnliche Gefühle erzeugt.
    Es war einfach gewesen, damals, nach seinem Rauswurf durch Tom. Nach einem Moment der Ratlosigkeit am Straßenrand fand er sich wieder mal in einem Hauseingang, dann war Toto ins nächste Lokal gegangen, es war eine Striptease-Bar, hatte nach einer Arbeit gefragt. Er hatte Glück, er bekam einen Job an der Bar und einen Schlafplatz im Hinterzimmer des Lokals.
    Er fand in der folgenden Woche noch eine Stelle als Reinigungskraft in einem chinesischen Restaurant, und bereits nach zwei Monaten täglicher Doppelschicht konnte Toto sich seine erste eigne Wohnung leisten. Sie hatte zwei Zimmer, die weitgehend leer waren, eine Matratze gab es, natürlich gab es eine Matratze, Toto wollte durch den Besitz eines Bettes nicht unangenehm auffallen. Die Heizung musste man nur andrehen, das heiße Wasser kam aus der Leitung, als wäre das normal. War es für Toto aber nicht, er staunte täglich über den Luxus der Moderne, drehte die Heizung auf, unentwegt, und ließ heißes Wasser laufen, ohne es zu verwenden.
    Wie einer unausgesprochenen Verabredung folgend, waren die schwarzgekleideten Barbesucher verschwunden, von einem Tag auf den anderen. Verstorben an Zeug, verschwunden in Bürgerlichkeit. Die dunklen Kellerclubs hatten neonbeleuchteter Geschmacklosigkeit Raum gemacht, da saß der Mensch der neunziger Jahre und definierte sich. Ein übergewichtiger Patriarch, von dem Politwissenschaftler später schwärmen würden, ihn als gebildeten Politiker lobend, regierte seit hundert Jahren das Land und hatte es mit Atomkraftwerken und Wohlstand erstickt. Diese neunziger Jahre, die mit nichts in der geschichtlichen Erinnerung bleiben würden. Noch

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