Vielen Dank für das Leben
dienen soll, wenn doch keiner weiß, wie man ein Leben erfreulich verbringt, wenn doch ein Krieg zwischen Männern und Frauen herrscht und keiner einem sagen kann, was genau eine Frau und ein Mann sind und wozu es eine Klarheit benötigt in einem Dasein, das nach achtzig Jahren in völliger Unklarheit zu Ende gehen wird. Warum muss alles seine Ordnung haben, wenn doch nichts in einer Ordnung befindlich ist in diesem Universum. Toto war so müde, dass er sich nicht einmal für Pfleger Peter verantwortlich fühlte, der sich neben sein Bett gesetzt hatte und ihn hungrig ansah. Vielleicht hatte er einfach zu wenig Energie für dieses Leben, das ständig eine Anstrengung zu erwarten schien. Hast du schon mal einen wie mich gesehen, fragte Toto, und Peter der Pfleger nickte, seltsam schwer. Sein Pferdeschwanz hing betrübt in seinem Nacken, als er aufsprang und sofort wieder arbeiten musste, wie er sagte. Toto blickte ihm nach. Da waren Menschen, die dringend irgendetwas mussten, nur er hatte nie gemusst, gewollt, gearbeitet. Vielleicht war sein unkonzentrierter Lebensentwurf eine Folge seiner, ja, was eigentlich. Toto hatte sich nie behindert gefühlt. Es schien ihm eher so, dass viele Männer und Frauen ihre Rollen darstellten, weil sie glaubten, dass das erwartet wird. Er hatte die Mann- und Frau-Darstellungen nie richtig ernst genommen. In seiner kommunistischen Jugend war kein großes Aufhebens um Geschlechter und ihre Rollen gemacht worden. Waren die Eltern weder Intellektuelle oder anderweitig Staatsfeinde, gab es für alle die gleichen Chancen auf ein wunderbar erfülltes volkseigenes Leben im Arbeiter- und Bauernstaat. Hier im Kapitalismus schien die Frage nach den Rollen von Mann und Frau von einer außerordentlichen Wichtigkeit. Es wurde unentwegt darüber geredet, gestritten, geschrieben. Es schien, als müsse man, um seine Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter zu demonstrieren, gezieltes Kaufverhalten entwickeln. Die Frauen mussten sich Brüste kaufen, unbedingt, und an jeder Nachttankstelle müssen die erhältlich sein, und die Brüste müssen dann in Dessous geschlagen werden, während die Männer ihr Gesicht ständig rasieren müssen, mit muskelbepackten Armen. Toto war das alles unverständlich. Da steht doch keiner auf, am Morgen, und streicht sich bewundernd über seinen geschlechtszugehörigen Körper, da sind doch alle gleich müde und gleich nicht vorhanden, mit sich allein.
Und weiter.
Toto konnte wenige Tage später, gestützt von Pfleger Peter, zur Toilette gehen, der künstliche Harnausgang war wieder nach innen verlegt worden. Er hatte abgenommen, war fester im Fleisch geworden, das mussten die Hormone sein, die ihn auch mit einer seltsam guten Laune ausstatteten. Toto hatte nie darüber nachgedacht, dass Männer meistens im Stehen urinieren. Es war ihm schon immer logischer erschienen, sich zu setzen, denn es war viel bequemer. Sitzt du beim Urinieren, fragte er Pfleger Peter, und der sagte, ich stehe, aber nicht weil es bequemer ist, sondern weil die Fische das Sitzen einfordern. Auf Totos leeren Blick fuhr er fort, die Fische, die Frauen, die Heteras. Vielleicht leitete sich die Bezeichnung für Frauen von der Form ihrer Genitalien ab, Toto war unterdessen Experte für Genitaldesign. Toto hatte Robert angerufen, denn er fühlte sich schuldig wegen der versprochenen Niere und machte sich Sorgen um den armen traurigen Mann, doch der wirkte seltsam erleichtert und versicherte, alles hätte sich wunderbar gefügt und er sei gesund. Toto war sich sicher, dass er ihn nie wiedersehen würde.
Er lief mit einer großen Freude an seinen eleganten Nieren und dem schmerzfreien Körper durchs Krankenhaus, das Linoleum war beige, eine wunderbare Farbe, um nach kurzer Zeit abgestoßen und fleckig zu wirken. Die Wände waren in einem warmen Sonnengelb gestrichen, vermutlich hatte ein Therapeut die wohltuende Wirkung dieser Farbe entdeckt.
Toto wunderte sich über den unglaublich abgestoßenen Zustand des Mobiliars und die Überbelegung der Zimmer. Ein Paradies für Bakterien.
Auf der Kinderstation war Besuchszeit. Besorgte Eltern saßen an Kinderbetten, und Toto wurde es schwer. Dass die mangelnde Aufmerksamkeit, die ihm entgegengebracht worden war, ihm nie zugesetzt hatte, war erstaunlich. Vermutlich hatte er damals schon diese hormonelle Fehlentwicklung gehabt, oder besitzen Kinder noch keine Hormone? Vermisst man Dinge und Gesten nur, wenn man sie erfahren hat? Toto sank an der
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