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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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führen.
    Peter schnaufte in Totos Rücken. Das also war der Sex, von dem alle redeten.
    Die Religionen, die Zeitungen, die Filme, die Unterhaltungsindustrie, die Kosmetikbranche, die Modewelt, die Pharmaindustrie, sie müssen den Menschen zur Vermehrung anhalten, zum Konsum, zum mehr Wollen, Haben, Kaufen. Emanzipation und Homosexualität bedrohen die Fortpflanzung, die Familie, die Sorge um die Brut, alles, was Menschen so ängstlich und leitbar macht, das wäre gelebte Anarchie. Genauso sah das hier aus. Wie in einer Anarchistenhöhle.
    So ein großes Theater um ein wenig Fortpflanzung, Evolution, du Füllhorn verschenkter Möglichkeiten, du in diesem Fall so völlig vergeudeter Samen.
    In der Wohnung, in die Peter Toto nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus eingeladen hatte, erklärte sich die Obsession des Pflegers für sie. Jeder der drei Räume war eine Art Tempel für Sebastian, einen Transsexuellen, der bei dem Versuch einer preisgünstigen Anpassungsoperation in Thailand, die Elefantendecke! ums Leben gekommen war. Die Narkose war zu stark oder zu schwach, Toto hatte es im Schluchzen des Pflegers nicht verstehen können, es war auch egal. Peter suchte einen Sebastian-Ersatz. Das war Toto nicht. Sie war kein Transsexueller, kein Mann, der eine Frau werden wollte, keine Frau, die ein Mann werden wollte, sie war kein Transvestit und wollte nicht in der Kleidung des anderen Geschlechts herumwackeln, wobei sie diese spezielle Vorliebe ohnehin nicht nachvollziehen konnte. Mit dem sogenannten Bruch von Stereotypen konnte doch nur spielen, wer sie verinnerlicht hatte. Toto war, wie sie nun wusste, eine Frau, die vermutlich wie ein Mann aussah, aber das war doch alles vollkommen egal; es war doch nur die Intelligenz, was Menschen unterscheidet, ein paar Kluge, der Rest nicht in der Lage, sich von oben zu betrachten. Toto wirkte nur dann seltsam, wenn man davon ausging, dass alle anderen Menschen perfekt sind, mit all dem Gehänge und Gelampe an ihren Körpern. Die sahen doch alle anders aus, als es in den medizinischen Lehrbüchern angedacht gewesen war.
    Peter kam wieder zu sich. Er wälzte sich auf Toto, als ob er einen Walfisch erklimmen wollte, um eine Fahne in seinen Schlund zu stoßen, oder war es der Mond, in den ja auch immer Plastikfahnen gesteckt werden. Toto versuchte, sich hungernde Kinder vorzustellen, kleine überfahrene Hunde und eine alte Frau, die ein totes Kätzchen in einem Piratenkostüm wiegt. Das hilft. Tote Katzen in Piratenuniform machten Toto zuverlässig traurig, und so gelang es ihr, Peters Gesicht nah bei sich zu ertragen, ohne zu lachen.
    Es war so schön, für mich. Lange Pause, keine Antwort. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe.
    Ein großes weiches Rauschen erfüllte Totos Kopf.
    Sie sah Peters feuchte Augen zu nah, es schien, als sei der Pfleger ergriffen von seinen Gefühlen. Toto glaubte ihm nicht. Zwar hatte noch nie ein Mensch sie gewollt, sie hatte noch nie Sex gehabt, wusste nicht, was Liebe war, aber das hier war eine Liebesdarstellung, dessen war sie sich sicher.
    Vielleicht war das alles ein Großes Theater um die Liebe, eine Lüge, die keiner bloßzustellen wagte, weil ohne sie nichts mehr geblieben wäre, das die Menschen hätte von einem Sinn träumen lassen.
    Peters Haare klebten feucht und dünn an seinem Schädel, auf seinen Nasenflügeln glänzten geplatzte Adern. Das würde man doch im Fall der Liebe gar nicht bemerken, diese unattraktiven Dinge, oder wenn man sie bemerkte, würde man sie mögen und küssen wollen. Toto wollte ihre Ruhe haben. Das Sozialamt hatte ein Zimmer in Aussicht gestellt, das am nächsten Morgen bezugsbereit war. Peter wollte nicht, dass sie in einem Sozialhilfezimmer lebte, er hatte doch Platz, es könnte alles so schön sein, und die alte Kleidung von Sebastian, die lag auch noch auf dem Dachboden, die Sachen, die er nachts getragen hatte.
    Toto würde mit den Kleidern einer Leiche in einem Schaukelstuhl in seiner Wohnung sitzen und darauf warten, dass sie ausgestopft würde.
    Toto versuchte, nicht nervös zu werden. Sie verstand ihr Unwohlsein nicht, da war sie doch, die Chance, einen Menschen zu entdecken, der sie mögen könnte. Das sagen doch alle, dass sich die Liebe mit der Zeit einstellen würde. Toto blickte Peter an, der eingenickt war und dessen Brust sich nach innen wölbte, die Nase, die aussah, als hätte ein Kind sie aus Plastilin gerollt und lustlos in ein Gesicht gesteckt. Toto kniff die Augen zusammen, bis Peter

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