Vielen Dank für das Leben
auswurffarbenen Krankenhauswand der Kinderstation herab, hockte und schaute auf die anderen, die bewegten sich doch nur so schnell und planvoll, weil sie sich nicht zu den Füßen der anderen wiederfinden wollten, ratlos, müde. Bis zu jenem Moment an der Wand, auf dem Boden, kam Toto alles unsinnig vor. Die Vorstellung, das Krankenhaus verlassen zu müssen, in eine Stadt zu laufen, die ihn nichts anging, sich eine Unterkunft suchen zu müssen, die vermutlich schäbig wäre, einen Plan zu entwickeln, Geld zu verdienen, um gottverdammte Fischkonserven kaufen zu können, machte, dass Toto sich auf der Stelle wünschte, nicht mehr da zu sein.
Warum sitzt du hier, fragte ein Kind, das mit einem Tropf neben Toto zum Stehen gekommen war, gerade als der sich an der Wand emporschieben wollte.
Es gibt hier nicht so viele angenehme Sitzmöglichkeiten, antwortete er, und warum hast du keinen Besuch, fragte Toto. Ich komme aus schwierigen Verhältnissen, sagte das Kind, das keine Haare hatte und dessen Adern sich so durch die blasse Haut abzeichneten, dass sie fast blau wirkten. Schwierige Verhältnisse kenne ich, das wird besser, wenn man älter ist. Wie alt bist du? Fragte das Kind. Keine Ahnung, sagte Toto, der darüber noch nie nachgedacht hatte. Wichtig ist, dass es besser wird. Das Kind hatte sich neben Toto gesetzt. Kannst du mir das versprechen? Ja, sagte Toto, ohne Zucken kann ich das versprechen. Irgendwann ist man alt genug, um wegzugehen, an einen Ort, wo keine Erwachsenen sind. Das Kind lächelte. Sie sagen, ich werde sterben. Wer sagt das, fragte Toto. Die Ärzte, ich habe es gehört. Ja, sagte Toto, vermutlich wirst du sterben. Ich werde auch sterben. Alle werden wir sterben. Aber der Zeitpunkt ist völlig ungewiss. Es ist mir auch egal, sagte das Kind und verspannte sein Gesicht, sodass die Lüge rührend klang.
Toto fiel nichts ein. Geh wieder in dein Bett, Kleiner, mach deine Chemotherapie, was immer zu tun ist, ich komm heut Abend und besuch dich, sagte er nach einer langen Pause, in der er nachgedacht hatte. Kinder bemerken Pausen nicht und Schweigen, sie werten Ruhe nicht als Abhandensein interessanter Gedanken. Das Kind nickte und schlurfte in sein Zimmer, Toto schob sich an der Wand empor, er hatte wieder jemanden gefunden, der ihn brauchte.
Am Abend hatte Toto auf dem Dach des Krankenhauses eine Filmszene nachgebaut, Kerzen, aus der Küche gestohlener Kuchen, Kakao. Ein bisschen kitschig, sagte Toto, als er das Kind und seinen Tropf durch die Dachluke hob. Ist schon in Ordnung, sagte das Kind, dann saßen sie unter dem Mond, aßen Kuchen, das Kind erbrach sich irgendwann, und es war glücklich. Toto überlegte sich, wie er das Kind, das nie Besuch hatte, bei sich aufnehmen könnte. Wie es dann gesund würde, und wohin sie im Sommer fahren mochten, das überlegte er sich auch.
Wohin wollen wir verreisen, wenn wir frei sind, fragte Toto, als sie am nächsten Abend auf dem Dach saßen, das Kind war besonders schwach, aber es war sehr zufrieden. Wenn ich noch lebe, könnten wir nach Paris fahren, sagte es. Dort stehen sehr viele Mühlen. Rote Mühlen. Ja, sagte Toto, davon habe ich auch gehört. Ich weiß nur nicht, ob mir diese Baskenmütze steht, die sie dort tragen müssen. Es ist, glaube ich, gesetzlich vorgeschrieben. Beide überlegten, was das für ein seltsames Gesetz war. Mit dem Kind hatte Toto eine Leichtigkeit des Zusammenseins, die Erwachsene nie bei ihm erzeugen konnten. So ein Kind konnte ohne Mühe den Sprüngen der Gedanken folgen, es konnte Ruhe ertragen, und es sah Toto nicht so wertend an, wie Erwachsene das immer taten. Es hatte nicht einmal gefragt, ob Toto nun ein Mann oder eine Frau war, es schien einen Menschen zu sehen, ohne all den Kram, den Erwachsene so dringend brauchten. Toto dachte nicht daran, dass er sich irgendwann von dem Kind würde verabschieden müssen.
So, Zeit, sich zu verabschieden, sagte der Chefarzt am nächsten Tag. Sie können heute nach Hause, und Toto fragte sich, wo das sein sollte. Wie ist denn das Befinden, fragte der Arzt und war in Gedanken bereits bei Tisch. Danke, gut, ich fühle mich gut, ich fühle mich wie eine Frau, hatte Toto gesagt. Und ich habe einen Freund gefunden. Aber das sagte Toto nicht.
Ach je, als Frau fühlt er sich, der Klumpen, Doktor Wagenbach resümierte die zeitraubende Operation des Intersexuellen, wie er dieses Wort hasste, diese aufgeräumte Bezeichnung für etwas Namenloses.
Da schließt sich der Kreis. Der Klumpen, den er
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