Vielleicht Esther
Ich war noch in meinem Krieg, ich fror und sah, wie sie die schwitzenden Männer beobachtete, diese anderen, für die sie einer der Ihren war, sie gehörte dazu, so schien es ihnen, doch das hatte sie nur durch Tarnung, durch Betrug erreicht. Siegreich spazierte sie im Männerumkleideraum auf dem langen Tisch herum wie auf einem Podium, mit Handtüchern um Brust und Hüften, bis sie plötzlich
eins fallen lässt und man ihren angeklebten Penis sieht, ich schockiert, sie triumphierend.
Ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte, nach meinem Ghetto-Spaziergang, in meiner Sehnsucht nach den anderen. Du wolltest doch spielen, nicht Krieg und Frieden, sondern ein Spiel, in dem du jemand anders spielen würdest, doch sie hat schon das Geschlecht gewechselt, und so ging ich hinter den schwarzen Vorhang, auf dem in großen Buchstaben Casting stand, und geriet in ein Zimmer. Papiere waren zu unterschreiben, auf denen ich bezeugte, dass ich bewusst am Casting teilnähme und bereit sei, die Fragen zu beantworten, die mir gestellt werden würden, dann noch Datenschutz.
Ich wurde in ein Zimmer geführt mit Dutzenden von Hüten, Sonnenbrillen und Make-up-Sets. Ich setzte mir einen roten Hut auf, eine Sonnenbrille, fand einen Lippenstift, den ich sofort haben wollte, und starrte mich im Spiegel an, so hatte ich doch immer sein wollen, kühn und unerreichbar, sogar für mich selbst. Dann kam das Casting. Mir wurden Fragen gestellt, zum Beispiel, wie ich mich in der Sauna unter Männern fühle, dabei war ich noch nie in einer Männersauna gewesen, nicht einmal in einer gemischten, obwohl ich mich immer wie in einer Männersauna fühle, getarnt mit meiner deutschen Sprache, alle denken, ich gehöre dazu, dabei bin ich nicht von hier. Ich antwortete ungeschickt und unpassend, der Kameramann, der seine Aufgabe genau kannte und wusste für wen und wofür, war genervt, und allmählich verstand ich, dass ich Katarzyna spielen und die Fragen so beantworten sollte, als ob ich Katarzyna wäre. Es gelang mir wieder nicht, die fremde Rolle einzunehmen.
Ich ging ins Make-up-Zimmer und hielt den Lippenstift in der Hand, mein Fund in diesem Spiel, ein Joker, nie im Leben hatte ich etwas, das so gut zu mir passte, eine Täuschung, lag es am Licht oder an der Dunkelheit, und ich dachte, dass man so etwas nur findet, wenn man in ein fremdes Spiel einsteigt. Der Lippenstift war eine Einladung zur Tat, ich steckte ihn mehrmals ein und nahm ihn wieder heraus, ich wollte ihn mitnehmen, war aber für einen Diebstahl nicht mutig genug und hatte die Wahl, entweder dem eigenen Ich treu zu bleiben, also nicht zu stehlen, oder endlich aus meiner Bahn herauszutreten, zu agieren und zu stehlen, denn ich begehrte diesen Lippenstift, und sonst tat es niemand, hier war er nur ein Requisit. Doch ich schaffte es nicht, und mit dem Gefühl, dass ich auch in diesem Spiel verloren habe, legte ich den Lippenstift auf den Tisch.
in der nacht konnte ich nicht schlafen, ich träumte von der sauna, vom ghetto, von nackten körpern, gekrümmt im tod oder im genuss, ich träumte vom anderssein, männer und frauen, gemischt, ich hatte fieber, ich erzählte katarzyna, dass auch ich katerina heiße, zitterte, ich könnte auch polin sein, sagte ich ihr, la double vie, wie kalt ist es hier, ich muss gar nicht spielen, ich könnte jede sein, aber doch besser nicht, nie würde ich es tun, nein, lieber nichts tun, ich habe mich auch unter anderen versteckt, oder nein, eher zur schau gestellt, schau, ich habe nicht shoa gesagt, du hast shoa gesagt, du oder ich, entweder oder, ich weiß nicht, ob ich jemals unter den meinigen war und wer sind die, die meinigen, diese ruinen um uns herum und in uns, und die sprachwechsel, die ich unternehme, um beide seiten
zu bewohnen, ich und nicht ich zugleich zu erleben, was für ein anspruch, ich bin anders, aber ich verstecke mich nicht, warm, und sonst bin ich scheu, schau, shoa, kalt, wieder ganz kalt, aber ich kann so tun, und ich und ich und ich, was für ein seltsames wort, wie ort, was für ein ort, als ob ich zu jemandem gehörte, zu einer familie, zu einer sprache, und manchmal sieht es sogar so aus, als wäre es so, ich kann mich nicht verstecken, und das alles auf deutsch, diese sprache, mein angeklebtes geschlecht, auf deutsch ist die sprache weiblich und auf russisch ist sie männlich, was habe ich mit diesem wechsel getan? ich kann mir das ankleben, wie du, katarzyna, ich kann mich auf den tisch stellen und es
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