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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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alten Gelassenheit zurückgefunden.
Mittlerweile löste das Denken bei mir Schweißausbrüche aus. Es setzte meinen Stoffwechsel unangenehm in Gang und Adrenalin frei. Dieses Stresshormon wurde mein engster Begleiter auf der Reise nach Ashcroft.
Der Bus setzte sich in Bewegung, und wir wurden wie Gefangene Richtung Süden transportiert. Es fehlten nur noch die Handschellen.
Chris saß völlig aufrecht in der sechsten Reihe und blickte aus dem Fenster. Neben ihm saß Benny, unser kleiner Schussel, der immer und überall alles vergisst. Er besitzt kein Kurzzeitgedächtnis und erfindet eigene Welten.
Die meisten Jungs hatten Kopfhörer in den Ohren und schaukelten zu der mehr oder minder wilden Musik. Einige lasen, einige redeten. Nur Chris saß schweigend da, ohne irgendeine Beschäftigung und starrte aus dem Fenster.
Ich beobachtete ihn einige Zeit und stellte fest, dass sich nicht einmal seine Augenlider bewegten. Er saß da wie eine Wachspuppe.
Warum zeigte sich bei ihm nicht der Reflex, der hin und wieder seine Augenlider schließen und öffnen ließ? Mir kam eine Meditation in den Sinn. Was würde passieren, wenn ich jetzt zu ihm hingehen und ihm überraschend die Hand auf die Schulter legen würde?
Er sah mich nicht kommen … dachte ich, doch kurz bevor ich ihn berührte, drehte er sein Gesicht zu mir, ohne dass sich ein Lid bewegte, grinste und sagte: „Es ist mir ein großes Vergnügen, mit Ihnen verreisen zu dürfen.“
Ich zuckte zusammen. Sollte das Zucken nicht seine Reaktion sein? Ich stotterte: „Mir auch, … Christopher.“
Aus seinem Rucksack zwischen den Beinen lugte das Buch heraus, in das ich zuletzt geschrieben hatte.
Den Rest der Fahrt saß ich wie benommen neben Jenny und wartete auf den ersten Stop.

Ich kann mich an dieser Stelle nicht mehr daran erinnern, ob und wie oft wir angehalten haben. Meine bewusste Aufmerksamkeit kehrte erst wieder, als wir das Ortsschild Aspen passierten und an der Kirche Prince Of Peace rechts abbogen Richtung Ashcroft. Es ging bergauf. Ich meine die Straße. Links und rechts entwuchsen unzählige Espen rotschimmernden Felswänden. Wohl der Grund, warum dieser Ort Aspen hieß. Überall wuchsen diese Bäume und war das Rauschen der Blätter zu hören, wenn der Wind hineinfuhr. Ich schloss meine Augen und träumte, ich läge am Strand, und das Rauschen der Blätter wurde zum Rauschen des Meeres. Entspannend.
Dann hielt der Bus. Wir waren angekommen und fuhren in den Innenhof einer prächtigen Anlage aus rotem, schweren Backstein mit schweren Holzfenstern und kontrastreicher Bepflanzung. Irgendwie wirkte alles fundamental und luxuriös. Hinter uns schloss sich ein schweres Eisentor, in der Mitte ein Adler. Das Symbol der Freiheit. Was für eine Ironie!
Dr. Brisco hatte die Ferienunterkunft unter dem Kriterium gewisser Sicherheitsstandards ausgesucht, um die Jungs wenigstens halbwegs unter Kontrolle zu halten. Wir hatten ebenso besprochen, dass die Verpflegung nur vom Hauspersonal oder unseren eigenen Kollegen entgegengenommen werden darf, damit sich das Desaster mit den untergemischten Medikamenten vom letzten Jahr nicht wiederholen würde.
Die Zimmer waren einfach fantastisch eingerichtet. Wer schon einmal einen Blick in Amerikas oder Kanadas Luxushotels  werfen konnte, kann sich in etwa vorstellen, in welcher Qualität wir Möbel und Dekoration vorfanden. Wir waren in einem First-Class-Hotel gelandet! So etwas konnte ich mir privat nicht leisten, aber die Kasse der Klinik macht‘s möglich. Es lebe die gestörte Psyche!
    Jenny und ich bekamen natürlich ein Zimmer zusammen, ebenso wie Sarah und Hannah, unsere Pflegerinnen. Nur Dr. Calhound musste alleine schlafen. Die Jungs legten wir auch weitgehend zusammen. Aber da es elf an der Zahl waren, stand sehr schnell fest, dass Chris ein Einzelzimmer bekommen würde. Er lebte nun schon eine ganze Weile alleine in der Klinik, und wir konnten nicht abschätzen, wie er sich mit einem Zimmerkollegen verhalten würde. Eine Ferienanlage war nicht der richtige Ort, um so etwas herauszufinden.
Ich nahm Chris beim Verteilen der Zimmer kaum wahr. Er hatte sich nahezu unsichtbar gemacht. Das bereitete mir etwas Unbehagen, denn dadurch konnte er wieder Dinge ungeahnten Ausmaßes in Gang setzen. Der größte Fehler, den man bei Christopher Gelton machen konnte war, ihn aus den Augen zu verlieren. Das war Dr. Pilburg letztes Jahr passiert. Jetzt war er tot. Mitnichten war sein Selbstmord durch diese Nachlässigkeit in Gang gesetzt

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