Vielleicht Verliebt
Sie zieht an ihrem Ohrläppchen. »Unlogisch?«
»Nein.« Joram nimmt den Zettel. »Ich finde das ziemlich einleuchtend.«
Sie sehen sich so lange an, dass sich zwischen ihren Augen wieder eine magische Blickschnur spannt.
»Und außerdem«, Jorams Ohren leuchten im Abendlicht, »weißt du ja, dass ich ›Elisa‹ gut finde.«
Irgendwas balanciert die Blickschnur entlang. Es sieht aus wie ein … Junge, Junge! Nicht schon wieder!
»Jedenfalls«, sagt Elisa schnell, »soll deine Mutter lieber ein Buch über ›Holly‹ schreiben.« Oder mit einem neuen Mann eine Tochter bekommen , aber das sagt sie lieber nicht laut.
»Okay.« Joram dreht sich halb zur Haustür um. »Aber du kannst ihr den Namen auch selbst zurückgeben, komm doch einfach kurz mit hoch.«
Elisa schüttelt den Kopf. »Es ist schon spät. Und die andern wissen nicht, wo ich bin.«
Und außerdem hab ich noch was zu erledigen. Aber das sagt sie auch nicht laut.
»Okay.«
»Okay.«
»Dann …«
»Dann …«
Joram hebt eine Hand und winkt mit den Fingern. »Gute Nacht.«
Eine Brise Braune-Blume-Duft weht zu Elisa rüber.
»Gute Nacht«, flüstert sie.
Die schweren Vorhänge sind noch immer vor das Fenster gezogen. Diesmal versucht Elisa es gar nicht erst mit der Klingel. Entweder Max und seine Eltern sind wirklich nicht da, oder sie wollen nicht aufmachen. In beiden Fällen wäre es also sinnlos zu klingeln.
Möglichst unauffällig schleicht sie den Steinplattenweg entlang, der zwischen der seitlichen Hauswand und einer Hecke hindurch in den Garten führt. Dort ist es ziemlich kahl, nur ein einzelner, riesiger Nussbaum steht in der Mitte einer ungemähten Naturwiese. An seinem Stamm sind in regelmäßigen Abständen dicke Holzplanken festgenagelt, an denen man wie auf einer Leiter in die Krone steigen kann.
Elisa dreht sich zum Bungalow um. Genau wie vorne auch, sind vor alle Fenster und die Terrassentür dicke Vorhänge gezogen.
»So ein Mist«, murmelt sie.
Wenn der Knabe schon nie da ist, hätte sie zumindest gerne mal einen Blick in dieses Max-Haus geworfen. Vielleicht wäre dann ohnehin sofort klar gewesen, dass B-O es hier niemals aushalten würde, und dann hätten sie sich um Plan B kümmern können. Wie auch immer der aussehen würde.
Enttäuscht starrt Elisa auf die dunklen Fenster, in denen nichts zu sehen ist außer dem Abendhimmel mit seinen halb rosa, halb gelben Wattewölkchen und dem Garten, der sich in den Scheiben spiegelt. Nur in einer Scheibe spiegelt sich nichts. Und während Elisa noch damit beschäftigt ist, sich zu fragen, wie das sein kann, weht ihr ein unerwarteter Windstoß die Locken ins Gesicht. Hinter dem nicht-spiegelnden Fenster bläht sich der Vorhang – und da wird ihr klar, dass es sperrangelweit offen steht!
»Bingo!«
Sie hätte sich vielleicht sogar ohne Hilfsmittel hochziehen können, aber wenn der kosmische Plan ihr nicht nur ein offenes Fenster, sondern auch einen Terrassenstuhl dazu spendiert, kann sie den ja auch benutzen. In null Komma nichts hockt Elisa im Fenster und hält sich mit der einen Hand am Rahmen fest. Vor ihr hängt dieser vermaledeite Vorhang, den muss sie erst mal ein Stück wegziehen, bevor sie einsteigen kann. Sonst landet sie noch in einem Aquarium oder in einer Schwertersammlung oder vor dem Hochbegabte-Klavierschüler-Alligator.
Sie greift in den dunkelblauen Stoff und versucht, ihn möglichst sanft und lautlos zur Seite zu bewegen, aber da tut sich überhaupt nichts. Elisa linst nach oben und stellt fest, dass keine Röllchen am Vorhang festgenäht sind, die in einer Schiene entlanglaufen wie bei Oma und Opa Eins, sondern nur Ringe an einer Holzstange hängen, die sich unter der Last des Vorhangs nach unten durchbiegt. Da geht ohne Ruck gar nichts!
Also ruckt Elisa – so vorsichtig, wie man nur rucken kann. Der Vorhang zittert einmal müde, aber das war’s.
Elisa ruckt etwas kräftiger – diesmal geben die Ringe ein kurzes Geräusch von sich, als sie über die Stange schaben, sie bewegen sich aber höchstens einen Millimeter zur Seite.
Elisa ruckt ein drittes Mal, noch kräftiger und – verliert das Gleichgewicht.
Sie krallt sich in den dunkelblauen Stoff, kann sich aber nicht halten und kippt vornüber. Und obwohl sie noch fällt, spürt sie den harten Aufprall schon, ihr Körper erlebt vor, was erst gleich passiert. Sie kneift die Augen zu und schreit, kurz und dumpf, dann landet sie, ganz anders als erwartet – auf etwas Weichem, Feuchtem, Stöhnendem.
Sie
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