Vielleicht Verliebt
kam uns vor wie Stunden.« Diesmal ist es seine Stimme, die wegkippt.
Dafür kann Oma Eins wieder sprechen. Es ist, als würden die beiden auf einer Wippe sitzen: Immer, wenn der eine hilflos in der Luft hängt, hilft der andere weiter. »Wir haben sofort den Krankenwagen gerufen. Du musstest genäht werden.«
»Aber ich hab doch gar keine Narbe!«
»Die ist nur versteckt unter deinen dichten Locken.« Eva gräbt ihre Finger in Elisas Haare, tastet ein bisschen rum und drückt dann auf eine Stelle an ihrem Hinterkopf. »Fühl mal.«
Tatsächlich. Ein ganz schmaler Hubbel, kaum zu spüren. Manchmal juckt es Elisa genau da.
Einen Augenblick lang herrscht Stille. In die Stille wollen sich ein paar Fragen bohren, aber die sind Elisa viel zu kompliziert. Eigentlich ist das, worauf es ankommt, ganz einfach. Sie sieht Eva an.
»Dann hat die Flieger-Nummer mir deswegen solche Angst gemacht!« Ihr Blick huscht zu Oma und Opa Eins. »Weil ich dabei schon mal was Schlimmes erlebt habe.«
Niemand nickt, aber das ist auch unnötig.
»Und mit Tristan hat das null zu tun!«
Die Erleichterung fängt in Elisas Bauch an und durchflutet dann ihren ganzen Körper wie eine Riesenwelle. Sie schlingt ihre Arme um Tristans Hals und schluchzt mit Oma Eins um die Wette.
Tristan drückt sie sanft zurück, und Elisa kann sich nicht vorstellen, dass diese Arme jemals ein Kind fallen lassen könnten. »Muss ich jetzt nicht mehr ausziehen?«, fragt er leise.
Elisa schüttelt den Kopf und lacht heulend.
Das Geschluchze von Oma Eins klingt nicht mehr ganz so verzweifelt. »Es tut uns so leid. Wir hätten schon viel früher was sagen müssen.« Sie dreht sich zu Eva. »Er war so gut drauf an dem Tag. Wir …«
»Es war nicht eure Schuld.« Eva lächelt, und es sieht aus, als wäre das die anstrengendste Muskelübung, die man überhaupt nur vollführen kann. »Es war ein Unfall. So oder so.«
Joram, der die ganze Zeit keinen Ton von sich gegeben hat, sieht Eva mit grüblerischer Miene an. »Aber wenn es ein Unfall war, warum …?«
»Kumpel?«, unterbricht Tristan ihn sanft. »Jetzt nicht, okay?«
***
Elisas Herz fühlt sich an wie ein Bleiklumpen mit Flügeln. Sie ist total niedergeschlagen, weil sie B-O abgeben muss. Und total glücklich, weil sie Tristan wiederbekommen hat. Je nachdem, welcher Gedanke sich gerade vordrängelt, flattert ihr Herz aufgeregt in die höchsten Höhen, oder es kracht im Sturzflug in Richtung Boden.
Sie streicht mit der Feder, die Juni sich in den Zopf gesteckt hatte, zärtlich über die Gitterstäbe von B-Os Käfig. Er beobachtet sie interessiert dabei und flötet einen leisen Urwaldton. Er scheint sich hier draußen wohl zu fühlen, unter freiem Himmel, neben dem Gartensofa, allein mit Elisa, sanft umhüllt von Jorams Klaviermusik, die aus dem Wohnzimmer zu ihnen dringt. Der arme B-O ahnt ja auch noch nichts davon, dass er bald schon wieder wegmuss!
Diese Feder wird wahrscheinlich das einzige Andenken an ihn sein, das Elisa bleibt. Und ihre Erinnerungen natürlich. Vorausgesetzt, die verkrümeln sich nicht auch wieder, wie die Erinnerungen an Papa Paul. Aber das darf nicht passieren! Und die beste Methode, um das zu verhindern, ist, ein Ersatz-Zuhause für B-O zu finden, wo sie ihn immer besuchen kann.
»Ich verspreche dir, dass du es gut haben wirst«, flüstert sie und drückt ihren Rücken, so fest sie kann, gegen die Seitenwand vom Sofa, damit sie etwas anderes fühlt als ihr abstürzendes Herz. »Ich suche für dich den besten Vogelkümmerer der Welt.«
Mit einem Mal steht Joram in der Terrassentür. Das hätte glatt ein kosmisches Zeichen sein können, wenn sie nicht vorhin, während ihrer antiallergischen Groß-Putz-Saug-Schrubb-Lüft-Aktion im Wohnzimmer schon darüber gesprochen hätten, dass im Mietshaus von Joram und Nikola Haustiere verboten sind. Joram kommt also definitiv nicht als bester Vogelkümmerer der Welt infrage. Leider!
»Der Spaziergang dauert wohl länger«, sagt er.
Elisa nickt. »Sieht ganz so aus. Sie wollen hier wahrscheinlich noch so lange wie möglich alle Fenster offen lassen, damit die letzten Vogelstaubkörnchen abschwirren können und Mai und Juni nicht wieder allergisch werden.«
»Ich müsste eigentlich mal langsam nach Hause.«
»Mmmh.« Elisa überlegt. »Soll ich Bescheid sagen, dass du schon allein gegangen bist?«
Joram zuckt die Schultern und sieht auf die Uhr. »Ist vielleicht das Beste.«
»Okay.«
»Okay.« Aber Joram geht nicht. Er steckt sich die
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