Vielleicht Verliebt
macht die Augen auf. Es ist stockdunkel. Elisa atmet. Ein Mal. Zwei Mal, dann ist er ganz da: der Geruch! Kotze und Alkohol. Sauer. Scharf. Eklig.
Vertraut.
Und da fällt Elisa noch mal. Alles wirbelt um sie herum, Apfelbaum Wiese Büsche, nur in der Mitte, ganz ruhig, steht Papa Pauls Gesicht, das nach Schnaps riecht und lacht, aber es ist gar nicht zum Lachen, Elisa hat Angst, Apfelbaum Wiese Büsche wirbeln schneller und schneller, Papa Paul lacht immer weiter, Elisas schwitzige Hände rutschen aus seinen, jemand packt sie, Opa Eins?, nein, es ist der Schwung, der sie wegreißt, weg von Papa Paul, sie schreit, es knallt so komisch, Schwärze.
Elisa atmet heftig.
Schwärze.
Dann plötzlich Helligkeit. Durch ihre zusammengekniffenen Augen erkennt Elisa eine grell leuchtende Deckenlampe. Das Weiche unter ihr bewegt sich und stöhnt wieder. In der Zimmertür steht ein Junge mit einem Eimer und einem Lappen in der Hand. Er schiebt sich die Brille auf die Nasenwurzel und starrt Elisa mit wild blinzelnden Augen entgegen.
»Wer bist du?«, fragt er fast ohne Stimme. »Was machst du hier? Wie bist du reingekommen?«
Ohne dass sie es beschließt, rappelt Elisa sich hoch. Ihr Körper hat das Kommando übernommen. Sie dreht sich nicht zu dem um, worauf sie gelandet ist. Erstaunlich zielstrebig gehen ihre gummiartigen Beine auf den Jungen zu, ihre Hand nimmt ihm den Eimer ab, ihre Finger verschränken sich mit seinen und ziehen ihn mit sich. Ihre Stimme sagt: »Wir müssen hier raus.«
E rst als sie mitten im Wohnzimmer vor Jorams Klavier steht, nimmt Elisa wieder wahr, was um sie herum ist. Der komplette Weg vom Bungalow bis nach Hause ist wie gelöscht. Verwundert stellt sie fest, dass ihre Finger eine Art Knoten mit fünf fremden Fingern bilden, die zu einem wüst schimpfenden Jungen gehören.
»Elisa?«, ruft Eva aus der Küche.
Als sie ihren Namen hört, lockert Elisa den Knoten. Der Junge reißt sich mit einem heftigen Ruck los. Sein Geschimpfe verebbt in einem düsteren: »Elisa!«
Eva kommt angelaufen, das Telefon in der Hand, und nimmt sie in den Arm. »Wo wart ihr denn nur? Wir haben uns tierische Sorgen gemacht. Wir kommen nach Hause und kein Mensch ist da. Wir dachten schon, wegen B-O hättet ihr irgendwas … Verrücktes unternommen.« Dann löst sie ihre Umarmung und starrt den Jungen an. »Das ist nicht Joram.«
Tristan poltert die Treppen runter. »Elisa! Endlich!« Auf der untersten Stufe bremst er ab. »Max? Was machst du denn hier? Wo ist Joram?«
»Woher soll ich das wissen?«, faucht Max. »Die da hat mich entführt!« Er reibt sich die Hand, die von Elisas Klammergriff ganz rot ist. »Ich will sofort wieder nach Hause!«
»Entführt?«, fragt Opa Eins.
Oma Eins streicht sich die Schürze glatt. »Was ist denn hier los?«
Elisa hat nicht gemerkt, von wo die beiden gekommen sind. Und auch Mai und Juni scheinen aus dem Nichts aufgetaucht zu sein. Als hätte Elisa einen Zeitsprung verpasst.
Jetzt reden sie alle durcheinander.
»Wer ist das?«
»Wo ist Joram?«
»Tristan, du musst mich wieder nach Hause fahren!«
»Wo seid ihr gewesen?«
»Jetzt sofort!«
»Wieso hast du denn Max dabei?«
»Ihr hättet wenigstens einen Zettel dalassen können!«
»Ich fahr dich natürlich.«
»Weiß deine Mutter, wo du bist, Max?«
»Ich weiß ja nicht mal selber, wo ich bin!«
»So was könnt ihr echt nicht machen!«
»Wir …«
»Ruuuuuuuheeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee!«, brüllt Elisa in das Chaos.
Alles verstummt.
Sie dreht sich zu Oma und Opa Eins um. »Papa Paul war besoffen, als er mich fallen gelassen hat, stimmt’s?« Sie dreht sich zu Eva um. »Der war dauernd besoffen, stimmt’s?«
Absolute Stille.
Eva hält ihrem Blick stand. »Ja«, sagt sie nach drei Atemzügen. »Das war er.«
Hinter Elisas Stirn breitet sich Wärme aus und verteilt sich gleichmäßig in ihrem ganzen Körper, als hätte jemand einen Eimer Badewasser in ihr ausgeschüttet. Ihre Arme, Beine, Finger und Zehen entkrampfen sich, sie fühlt sich flüssig, labberig und erschöpft.
Papa Paul war der schlechteste Vater aller Zeiten. Er war ständig besoffen und hat sein einziges Kind lachend gegen einen Baum geschleudert. Weil es ihnen peinlich war, haben seine Eltern, die alles mit angesehen haben, die schöne Eva belogen und behauptet, die kleine E-Punkt wäre vom Baum gefallen.
»Ihr habt euch für ihn geschämt«, sagt Elisa kraftlos. »Deswegen habt ihr gelogen.«
Die Einser sehen sie nicht an.
»Und
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