Vielleicht Verliebt
warum hast du gelogen?«, fragt sie Eva.
Deren Blick verdunkelt sich. »Hab ich denn gelogen?«
»Ja!« Elisa schreit. »Nicht über etwas zu reden ist genauso schlimm wie lügen! Du wolltest, dass ich vergesse, dass Papa Paul ein Säufer ist, und jetzt hab ich alles von ihm vergessen!«
Es muss schon wieder ein Zeitsprung stattgefunden haben, denn plötzlich sitzen sie auf dem Sofa, ohne dass Elisa gemerkt hat, wie sie dort hingekommen sind.
»Papa Paul war Alkoholiker. Kein Säufer.« Eva legt ihre Hand auf Elisas Oberschenkel, aber Elisa zieht das Bein weg.
»Was ist ein Kalkofoliker?«, haucht Juni.
»Das hat was mit Geheimagenten zu tun«, antwortet Mai.
»Nein.« Eva schafft es irgendwie, Mai anzulächeln. »Alkoholismus ist eine schwere Krankheit, die bedeutet, dass man immer Schnaps trinken muss, obwohl man nicht will.«
Vom Küchentisch ertönt ein leises Klappern. Max stapelt in Zeitlupe die dreckigen Teller vom Abendessen aufeinander.
»Kann man davon sterben?«, fragt Juni leise.
Eva nickt. »Ja, das kann man.«
Eine Gabel klirrt laut scheppernd auf die Teller.
»Und ist der Papa Paul davon gestorben?«
Eva nickt wieder. »Es war ein Autounfall, und der ist passiert, weil Papa Paul betrunken war.«
Seine Familie war ihm total egal. Die ganze Menschheit war ihm total egal. Er schüttete sich schnell noch einen Eimer Schnaps rein, setzte sich ins Auto und raste mit seinem Wagen einfach in die nächstbeste Leitplanke.
»Du hättest besser auf ihn aufpassen müssen!« Elisa bohrt einen zackenscharfen Blick in Eva. »Dann wäre er vielleicht noch am Leben. Wieso hast du erlaubt, dass er betrunken Auto fährt?« Der Blick wandert zu den Einsern. »Und wenn ihr besser auf ihn aufgepasst hättet, hätte er mich nicht fallen gelassen!«
Oma Eins schluchzt und verbirgt ihr Gesicht in ihren Händen.
»Elisa«, sagt Opa Eins matt, aber Eva schüttelt den Kopf.
»Lass sie, Hubert, sie ist wütend und das zu Recht. Wir hätten früher mit ihr darüber reden müssen.«
»JA!« Elisa weiß nicht, wo sie mit ihrer Wut hinsoll. Sie würde sie gerne gegen eine Wand knallen, mit so viel Wucht, dass sie sofort wieder zurückspringt, wie ein Flummi. Und dann noch mal und noch mal.
Aber da ist keine Wand.
Da ist nur Eva, und die ist Watte.
»Man kann auf einen Alkoholiker aufpassen«, sagt sie. »Aber dann bleibt von deinem eigenen Leben nicht mehr viel übrig. Es ist ein 24-Stunden-Job.«
Genau wie ein Beo , flitzt ein kleiner nackter Gedanke an Elisa vorbei.
»Und außerdem passt der Alkoholiker dann nicht mehr auf sich selbst auf. Und dann bleibt er vermutlich für immer krank.«
Ein Glas kippt um. Max greift hektisch danach und wischt die entstandene Saftpfütze mit seinem Ärmel auf.
Papa Paul war einfach zu blöde, um sein Leben in den Griff zu kriegen. Die Welt war schön, genau wie seine Frau, die schöne Eva, und mit der kleinen E-Punkt hätte er den ganzen Tag spielen können, aber er wollte lieber in der engen Bude hocken und nur seine bescheuerte Spieluhr drehen.
»Er hatte mich nicht lieb.« Elisa nickt vor sich hin. Weder das Wimmern von Oma Eins noch das tierisch laute Geklapper vom Küchentisch können ihre Gedanken ablenken. »Wenn er mich richtig lieb gehabt hätte, hätte er mit dem Trinken aufgehört.«
Als sie wieder in Evas Gesicht sieht, ist es wie mit Wachs überzogen, ihre Stimme dünn wie ein Grashalm: »Wenn Liebe alle Alkoholiker heilen könnte …« Eva steht auf und wirft einen Blick in Max’ Richtung. Max sieht Eva kurz an, blinzelt ein paar Mal und räumt dann weiter den Tisch auf.
Eva geht zur Kommode rüber. Aus der untersten Schublade, die nur mit Ruckeln und einem Spezial-Schlag auf die richtige Stelle aufgeht, fischt sie ein kleines Papp-Schächtelchen. Schon von Weitem lassen die Farben Elisas Kopfhaut kribbeln. Als Eva mit dem Schächtelchen wieder neben ihr sitzt und Elisa es in die Hand nimmt, kommt das Weinen.
Papa Pauls Spieluhr!
Elisa erinnert sich!
Die abgeschrammten Ecken … der Riss an der Stelle, wo die Kurbel aus der Schachtel ragt … die dunkelbraune Perle am Ende der Kurbel … der Tesafilm, ranzig-gelb und an den Enden zerfranselt, mit dem das Babyfoto über das eigentliche Motiv geklebt ist …
Sie erkennt sich nicht wieder, aber sie weiß, dass sie das ist auf dem Bild.
»Schau nur, Elisa, du warst das schönste Baby der Welt. Und jetzt bist du das schönste Mädchen der Welt. Willst du auch mal drehen?«
»Ja!«
Wenn sie durch den
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