Vielleicht Verliebt
seine Ladung ächzend ab. »Es war alles ein bisschen hektisch bei mir«, erklärt er. »Und ich konnte auch nicht so packen, dass immer klar ist, in welches Zimmer der Karton gehört. Bücher mit Klamotten zusammen, Teller mit Kopfkissen.« Er zuckt die Schultern. »Verstehste?«
»Aber die beiden Kartons, die ich gepackt habe«, sagt Joram, »mit meinen Sachen drin, die gibt es doch noch, oder?«
»Also, das war so …« Tristan kratzt sich am Kopf.
»Papa?!«
»Kumpel, die waren einfach zu schwer, mit deinen ganzen Büchern und so. Ich musste da ein bisschen umverteilen.«
Joram nimmt schweigend einen tiefen Atemzug. »Zum Glück hab ich alles Wichtige bei Mama«, murmelt er. Dann sagt er laut zu Tristan: »Und woher sollen wir jetzt wissen, wo die Kartons hinsollen?«
Ordnung und Beschriftungen und Pläne sind eine wichtige Sache für Joram. Elisa muss an ein Käferexperiment denken, das sie vor Kurzem mit ihm zusammen gemacht hat. Das hat eindeutig ergeben, dass Gegensätze sich anziehen. Vielleicht ist Joram einfach ihr Gegenteil?! Das würde doch so ziemlich alles erklären.
»Pass auf«, sagt sie, um Tristan ein bisschen beizustehen. »Wenn man keine Nummern auf die Kartons schreibt und deswegen nicht genau weiß, wie viele man in der alten Wohnung gepackt hat und wo sie hinsollen, dann kann man in der neuen auch nicht so schnell merken, wenn einer fehlt.«
»Eben!« Joram guckt wie jemand, der findet, dass er das Falsche erklärt bekommt.
»Das ist doch cool!« Elisa lächelt ihn an. »Stell dir mal vor: Einer von den Kartons landet aus Versehen irgendwo, wo er nicht hingehört. Im Keller zum Beispiel oder in der Garage. Irgendwann fragen wir uns: ›Haben wir jetzt alle Kartons ausgepackt?‹ ›Glaube schon.‹ ›Nichts vergessen?‹ ›Nicht, dass ich wüsste.‹« Elisa spricht mit wechselnden Stimmen, damit Joram sich alles ganz genau vorstellen kann. »Und diesen einen verschollenen Karton finden wir dann – sagen wir mal – ein Jahr später wieder. Wir packen ihn aus, und tadadadaaa! – kommen lauter coole Sachen raus. Wir haben die gar nicht vermisst, aber jetzt fallen sie uns wieder ein. Und dann fühlt es sich an, als wären das neue Sachen, bloß welche, mit denen wir uns total auskennen.«
Jorams Gesicht macht keinen erleuchteten Eindruck.
»Willst du das ganze Spannende verpassen, nur wegen ein paar blöden Nummern?«, fragt Elisa.
Joram sieht sie lange an, ohne zu antworten. Zwischen seinen und ihren Augen spannt sich eine magische Blickschnur. Elisa bekommt Herzklopfen und sieht die ersten Glühwürmchen antanzen. Aber als Joram immer weiter schweigt, macht sie sich plötzlich Sorgen. Hat sie etwa einen Wortstau bei ihm ausgelöst? Mit dem bisschen Karton-Gerede? Joram hat ihr das mal erklärt, als sie wissen wollte, warum er immer seine Tasche mit sich rumträgt: Bei einem Wortstau knubbeln sich in seinem Kopf die Gedanken, sodass er kein einziges Wort mehr rausbringt. Seine Stimme versagt, er kann nicht mal mehr flüstern, und am Ende muss er sein Notizbuch aus der Tasche zücken und da reinschreiben, was er sagen will. Am häufigsten passiert ihm das, wenn er mit Tristan zusammen ist.
Elisa könnte so was nicht passieren. Nicht nur, weil sie sich mit Tristan so gut versteht, sondern überhaupt. Wenn sich bei ihr die Gedanken stauen, nutzen sie die Gelegenheit immer dazu, einen riesigen Kaffeeklatsch zu veranstalten. Alle reden durcheinander, laufen zwischen den Kuchen und Torten hin und her und bedienen sich am Saft. Manche sind schon wieder gegangen, ohne dass Elisa es gemerkt hat. Andere kommen, bringen Freunde mit. Und ganz zum Schluss sitzt sie meistens mit einem einzigen am Tisch und wundert sich, dass es plötzlich so still ist.
»Wenn alles ordentlich ist, können auch spannende Sachen passieren«, sagt Joram.
»Was?« Elisa weiß inzwischen nicht mehr, worum es eigentlich ging, aber immerhin hat Joram wohl doch keinen Wortstau.
Bevor er ihr antworten kann, kommen Eva, Oma und Opa Eins aus dem Haus.
»Da seid ihr ja! Einen wunderschönen guten Morgen.« Tristan strahlt sein Ich-hab-Eva-gesehen-Strahlen. Voll romantisch! Bei den beiden war es die berühmte Liebe auf den ersten Blick. Elisa linst zu Joram rüber. Wenn es bei ihr doch bloß auch so eindeutig wäre!
***
Am Abend räkeln sich Elisa und Joram auf Tristans Sofa. Elisa hat die Augen zu, ein sanfter Wind streicht ihr um den Kopf und bringt den Duft von Zedern, Lavendel, Abendsommerkühle und brauner
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