Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
öfters bankrott oder nahe daran war. Es versteht ein kreatives Lebensgefühl zu vermitteln und über die Kehrseite des Leistungsdiktats und der Dauerbetriebsamkeit das Lächeln des positiven Denkens zu legen (dazu mehr im 5. Kapitel). Ferguson empfiehlt uns Europäern tatsächlich, in der Tretmühle noch mehr aufs Tempo zu drücken – am besten mit einem freundlichen Morgengebet auf den Lippen. Außerdem gibt es da noch die Schulden der Euro-Rettungsschirme, die wir zurückzahlen müssen, und mit den Chinesen sollten wir auch mithalten können.
Viel naheliegender als die Sorge, was ich dafür tun kann, um die Euro-Schuldenberge abzutragen, erscheint mir die Frage, warum die Menschen nicht längst auf die Barrikaden gehen. Die Perspektiven sind nicht einladend: Mehr Tempo auf dem Hamsterrad, sonst schmilzt der Wohlstand. Obwohl die Produktivität technologiebedingt jährlich steigt, obwohl wir so reich sind wie nie zuvor, obwohl wir einen Teil des Konsums wegwerfen oder gar nicht benutzen, obwohl wir uns weniger Arbeit wünschen und lieber mehr Zeit hätten für andere Glücksgüter. Wenn wir jetzt nicht damit anfangen, den Zeittakt der Wirtschaft und des Lebens wieder zu entschleunigen, wann sollen wir dann damit beginnen? Müssen wir ununterbrochen verfügbar sein? Müssen wir jeden Hype mitmachen? Müssen wir uns täglich neu erfinden? Wenn wir angesichts des historisch unvergleichbaren Wohlstands nicht runterschalten können, wann dann?
Am gefährdetsten sind die Sinnarbeiter, jene, die im Beruf ihre Persönlichkeit verwirklichen wollen, die intrinsisch hoch Motivierten, denn sie haben am wenigsten Widerstandskraft gegen die Vereinnahmung durch die Arbeit, durch die »kalifornische Ideologie«. Nichts gegen das Glück, einen Beruf zu haben, aus dem man Befriedigung zieht. Aber gerade hier wird die aristotelische Idee der Balance wichtig: nur nicht übertreiben. Arbeit hat bei uns einen zu großen Stellenwert bekommen. Wir arbeiten zu viel. Es mag einmal eine Zeit gegeben haben, als die protestantische Arbeitsmoral dazu beitrug, trotz allen Zwangs, der Armut zu entkommen und eine geordnete Industriegesellschaft aufzubauen. Inzwischen sind wir nicht mehr arm. Wir befinden uns in einer Beschleunigungsspirale des Maximierens und Konsumierens. Wenn das Pferd tot ist, steig ab, lautet eine alte Indianerweisheit. Es ist Zeit, abzusteigen und den Puritaner in uns zu bekämpfen.
1 Sprenger 2012.
2 Baum 2012, S. 17.
3 Mika 2011.
4 Penny 2012.
5 Weber 1972, S. 709.
6 Weber 2006, S. 28.
7 Weber 2006, S. 28.
8 Weber 2006, S. 177.
9 Richard Barbrook nennt das Verschmelzen der Hippie-Romantik mit der Hightech-Industrie die »kalifornische Ideologie«. In Kalifornien entstanden die Pfingstler, die Hippies und das Silicon Valley. Kalifornien ist das letzte Update der puritanischen Prädestinationslehre: Gott will, dass du reich wirst. Den Bestseller The purpose driven life hätte ein Venture-Kapitalist, ein Internet-Gründer oder ein Mega-Church-Prediger schreiben können. Es war Rick Warren, Chef der Saddleback Church, den Jack Welch, einer der erbarmungslosesten US-Topmanager, mit dem Satz lobte: »Rick, du bist der größte Denker, dem ich je begegnet bin. Nur Rupert Murdoch denkt so global wie du.« Worauf Warren antwortete: »Ich bin Ruperts Seelsorger. Rupert hat mein Buch herausgebracht.« Gott, Geld und Bits, alles rechnet sich, weil es nützlich ist – purpose driven eben. Wo Geld und Mission ist, da ist auch Jesus: »And at the centre of it all, a bearded and barefoot Steve Jobs, whose singular vision …«, heißt es in Luke Dormehls The Apple Revolution (Dormehl 2013, siehe auch Barbrook und Cameron 1995).
10 Kloepfer, in FAZ vom 06.10.2012.
11 Stressreport Deutschland 2012.
12 Jesus war das Pflegekind eines Zimmermanns und hat nie gearbeitet. Seine Jünger hat er vom Handwerk in die Mission wegberufen. Doch schon Paulus befiehlt: »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.« (2. Thes 3, 10). Christen sollen arbeiten aus Buße für die Vertreibung aus dem Paradies: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.« (1. Mose 3, 19) Calvin hat das leider sehr, sehr ernst genommen.
13 Luther 1523.
14 Charles Dickens schildert in Oliver Twist die Prügelorgien in Armenhäusern und bei Lehrherren.
15 Weber 2006, S. 176
16 Weber 2006, S. 177.
17 Calvin 1960, S. 454.
18 Weber 2006, S. 145.
19 Weber 2006, S. 154.
20 Umgekehrt war Armenfürsorge verpönt, denn sie belohnt die Faulen.
21 Die
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