Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Kindererziehung hat erst dann einen Wert, wenn die Kindergärtnerin dafür bezahlt wird. Wenn die Arbeiter nicht nach München-Grünwald ziehen, dann haben sie für solche Wohnlagen eben keine Präferenzen, nicht etwa zu wenig Geld, denn aus der Präferenz lässt sich ja nicht ableiten, welches Budget einer hat, da müsste man die Person schon kennenlernen und wissen wollen, wie Präferenzen geformt werden. Etwa, warum viele zwei Fernseher haben, wenn sie nur einen benutzen, oder warum sie x T-Shirts besitzen, von denen sie y nie anhatten. Aber all das will der Sachverständigenrat gar nicht wissen, denn es könnte ja herauskommen, dass die Wirtschaft unheimlich viel unnützes Zeug produziert und die Menschen vieles konsumieren, ohne zufrieden zu sein. Es könnte herauskommen, dass das Marktsystem doch nicht so effizient ist, wie es die Ökonomen gern hätten, und dass sie diese Ineffizienz mit ihren Methoden gar nicht erklären können. Da fragen sie lieber erst gar nicht. Der Markt legitimiert alles, und eine Diskussion der Menschen miteinander, wie sie leben wollen und wie sie sich fühlen, ist unzulässig, sie »führt in die falsche Richtung«. Die Menschen, so der Sachverständigenrat, sind einfach zu blöd: »Viele verleugnen, dass sich ihre Lebensqualität in den vergangenen Jahrzehnten deutlich erhöht hat, obwohl die Wertschöpfung und die damit verbundenen Konsummöglichkeiten ebenso zugenommen haben wie andere objektiv messbare Faktoren. Vor dem Hintergrund derartiger Fehleinschätzungen kann kaum dazu geraten werden, Maße des Wohlbefindens zu entwickeln und aus subjektiven Äußerungen sogar politische Handlungsempfehlungen abzuleiten.« 29 Mit einem Wort: Was die Menschen fühlen und denken, sollte die Politik einfach ignorieren. 30 Sie hat ja die Ökonomen, und die sagen: Mehr ist besser als weniger. Was sonst?
Da gibt es keine Fragen mehr: Dass die heutige Überflussgesellschaft so viel ungenutzt wegwirft – sie wird schon wissen, warum. Dass die Lebenszyklen der Produkte immer kürzer werden, um den Durchlauf zu erhöhen – das ist Fortschritt. Dass so viel Ramsch hergestellt wird – über Geschmack lässt sich nicht streiten? Der Ökonom sträubt sich mit Händen und Füßen dagegen, auch nur ein einziges Qualitätsurteil abzugeben, das dem Markturteil widerspricht. Ob Brot und Brötchen täglich von Tausenden Bäckern frisch gebacken auf dem Frühstückstisch landen oder von drei Großfilialisten aus osteuropäischen Kühlhäusern zum Aufbacken importiert werden – das sind Sentimentalitäten. Privat, ja da schmecken dem Sachverständigenrat die Wattebrötchen auch nicht und das TV -Programm findet er grottenschlecht, aber als Ökonom kann er sich kein Urteil erlauben. Ob eine Gesellschaft geschlossen bei McDonald’s isst oder Slow Food genießt, das eine ist so richtig wie das andere. Ob die Schüler ihr Pausenbrot verzehren oder Crack rauchen – »revealed preferences«, was sonst.
Ein bisschen armselig ist dieses »Mehr ist besser als weniger« schon. Es ist ja schön, dass uns die Ökonomen nicht bevormunden wollen, aber erstens stimmt das nicht, und zweitens klinken sich die Ökonomie und erst recht die Wirtschaft durch das Denkverbot über das, was ein gutes Leben ausmacht, aus der gesellschaftlichen Debatte aus. Ich habe den Eindruck, dass die Wirtschaft Angst hat, diese Debatte zu verlieren, weil sie auf der Anklagebank sitzt. Statt nett gelobt zu werden, was für schöne und brauchbare Sachen sie produziert, muss sie sich im Nahkampf mit der Wegwerfgesellschaft und dem Sinn und Unsinn von Produkten auseinandersetzen. Da scheint es einfacher, die Konsumentensouveränität hochzuhalten und den Verteidiger der Freiheit zu spielen. Die Wirtschaft wird sich der Debatte um Entschleunigung, um Slow Food, Slow Citys, um das, »wie wir leben wollen«, nicht entziehen können. Wenn sie nicht aufpasst, ergeht es ihr wie bei der Frauenquote. Wie Schuljungen haben sich die stolzen DAX -Vorstände von einer Ministerin wegen des geringen Frauenanteils in den Chefetagen abkanzeln lassen. Eine eigene Position dazu haben sie nie kommuniziert, sie folgten dem Mainstream und hofften, dass die Männerdominanz irgendwie übersehen wird. Die Debatte über die Entschleunigung und über das »gute Leben« kommt jetzt in Gang. Wenn sie schlecht läuft, wird sie zum Vorwand für Staatsinterventionismus, wenn sie gut läuft, dann gestaltet die Gesellschaft die Entschleunigung selbst, durch
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