Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Verhaltensänderungen und neu designte Märkte. Um da mitreden zu können, muss man aber erst mal wissen, was man will. Es wäre im eigenen Interesse der Wirtschaft, wenn sie sich nicht hinter der Konsumentensouveränität und dem Marktoptimum verstecken würde.
Eine liberale Gesellschaft kann auch den Markt korrigieren.
Eine liberale Gesellschaft ist etwas anderes als eine wirtschaftsliberale Gesellschaft. Sie setzt sich auch Ziele, die nicht durch den Markt formuliert wurden, sondern in einer demokratischen Öffentlichkeit. Schauen wir nur auf die Kaufentscheidungen, dann gibt es beispielsweise Millionen Raucher, Millionen Übergewichtige und Millionen vor dem Fernseher verschnarchte Freizeitstunden. Schauen wir auf Meinungsumfragen, wollen Millionen Deutsche weniger rauchen, gesünder leben und weniger fernsehen. 31 Zwischen Markt und Umfragen gibt es offenbar eine Diskrepanz. Warum aber sollten wir nur das als Meinung gelten lassen, was sich in Form von Geld an der Supermarktkasse ausdrückt? Der Mensch handelt nicht konsistent und braucht das auch gar nicht. Das Leitbild des total emotionslosen vernunftgesteuerten Kopfmenschen ist doch selbst nur eine realitätsferne Konstruktion. Der Psychologe Gerd Gigerenzer hat gezeigt, dass intuitive Bauchentscheidungen oft klüger und praktischer sind als Entscheidungen mit dem Logikschieber. 32
Es geht also nicht darum, ob wir beispielsweise die Qualität des Fernsehprogramms oder die Verweildauer vor dem Fernseher als Gesellschaft beeinflussen dürfen – das tun wir ohnehin, indem Firmen bestimmte Sendungen mit Werbung fördern oder der Staat Filme subventioniert. 33 Das eigentliche Problem ist, wie man Verhaltensbeeinflussungen ohne Schaden an der Souveränität der Verbraucher und der Sendereigentümer durchsetzt. Wer länger als dreißig Minuten täglich vor dem TV sitzt, ist nachweislich weniger zufrieden als Menschen mit weniger Fernsehkonsum. Das Problem darf die Gesellschaft interessieren. Vielleicht ist die Subventionierung der TV -Gebühr für Hartz- IV -Empfänger gar kein so fürsorglicher Akt, sondern ein Beitrag zum Unglücklichsein.
Eine liberale Gesellschaft kann auch den Markt korrigieren. Warum soll sie sich nicht für eine mittelständische Wirtschaftsstruktur aussprechen und die Rahmenbedingungen so gestalten, dass diese bessere Chancen auf dem Markt hat als globale Konzerne? Deutschland hat 1533 mittelständische Weltmarktführer, denen es seinen Wohlstand und seine Anerkennung als Industriestaat verdankt. Dennoch werden derzeit globale Konzerne bevorzugt. 34 Amazon und Apple zahlen beispielsweise kaum Steuern, Mittelständler schon. Das kann die Gesellschaft doch umdrehen und beschließen, den Mittelstand zu bevorzugen – im vollen Bewusstsein, dass wenige Großanbieter durchaus »effizienter« sein können als Hunderte kleine. Aber Effizienz ist eben kein Höchstwert, sie ist nur ein Höchstwert der reinen Marktökonomie. Klar, für solche »Ineffizienz« muss es schon gute Gründe geben, sie ist selbstverständlich nicht per se schützenswert.
Eine liberale Gesellschaft kann eine hohe Produktqualität zum Ziel erheben und die Märkte so konstruieren, dass Ramschanbieter Schwierigkeiten haben. Das wird nicht immer leicht sein, denn das Design von Märkten erfordert viel Erfahrung und Konsequenz 35 , aber im Grunde schwebte das auch den Gründungsvätern der Sozialen Marktwirtschaft vor. Wilhelm Röpke, einer ihrer Vordenker, sagte, dass das Geschäftsleben auf moralischen Grundlagen beruht, die außerhalb seiner selbst liegen: »Markt, Wettbewerb und das Spiel von Angebot und Nachfrage erzeugen jene sittlichen Reserven nicht. Sie setzen sie voraus und verbrauchen sie.« 36 Der Markt ist vor allem ein gutes Instrument, um über den Preis Angebot und Nachfrage optimal zu verteilen. Da ist er unschlagbar.
Doch jeder Markt benötigt ein anderes Design: der Strommarkt ein anderes als der Immobilien- oder Kapitalmarkt. Weil die Verhältnisse dort je andere sind. Die Gesellschaft verfolgt bestimmte soziale Ziele und gibt diese der Marktarchitektur vor. Auf dem Wohnungsmarkt wollen wir einen bestimmten Grad an Mieterschutz, weil ein freier Wohnungsmarkt Wohnraum für Geringverdiener nicht ausreichend anbietet. Es lohnt sich für Vermieter nicht. Also greift der Staat mit der Förderung für Geringverdiener ein. 37 Im Strommarkt muss der Staat ein Verbot von Energieversorgungsausfällen vorschreiben, sonst könnte es sich für Kraftwerke rentieren,
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