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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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kleine Ausfälle in Kauf zu nehmen, weil die Abdeckung von Verbrauchsspitzen zu viel kostet. Banken muss der Staat das Zocken verbieten und sie zu einer hohen Eigenkapitalquote zwingen, sonst wiederholt sich der Crash von 2008. Statt hoher Gebühren für den Staatsrundfunk könnte die Gesellschaft umgekehrt dem Privatfernsehen Qualitätsvorgaben machen. Wenn wir uns in Zukunft dem guten Leben zuwenden und den Turbokapitalismus entschleunigen wollen, dann werden wir einigen Schrott und Überflüssiges entrümpeln und auf Qualität setzen müssen, auf längere Produktzyklen, auf bessere Haltbarkeit, weniger Scheininnovationen. Es geht vor allem darum, dass wir das Prinzip »Mehr ist besser als weniger« durchbrechen. Es ist eine zentrale Grundlage der Steigerungslogik und eine Hauptquelle unserer Unzufriedenheit.
    »Carpe diem« oder »Zeit ist Geld«.
    Dazu ist es nötig, auf die puritanische Herkunft des Glaubenssatzes »Mehr ist besser als weniger« hinzuweisen. Denn wenn wir erst mal wissen, dass dieses ökonomische Prinzip weder eine empirische Tatsache noch eine natürliche Verhaltenskonstante ist, wie die Ökonomen gern behaupten, dann fällt der Abschied vielleicht leichter. So bietet die Völkerkunde keinerlei Anhaltspunkte, dass Nutzenmaximierung in traditionellen oder Agrargesellschaften je eine größere Bedeutung gehabt hätte. Bei den Kwakiutl-Indianern im amerikanischen Nordwesten geben die Wohlhabenden in periodischen Abständen Potlatch-Feste, deren Höhepunkt darin besteht, dass der Veranstalter sein gesamtes Eigentum verschenkt und so seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und seinen Status dokumentiert. Es ist klar, dass die US -Behörden die Sitte verboten haben, weil sie ökonomisch ruinös ist und nicht dem puritanischen »Mehr ist besser als weniger« gehorcht.
    In der Antike galt der Spruch »carpe diem«, wörtlich übersetzt »pflücke den Tag«. Er verwies auf ein gelingendes Leben und mahnte, das Leben zu genießen und im Hier und Jetzt zu leben. Die Zeit hat ihren Wert für sich, egal ob ich sie mit Freunden, mit Musik oder mit Arbeit verbringe oder einfach nur vertrödele, es ist angesichts unserer Vergänglichkeit klug, den Augenblick zu genießen. Die deutsche Übersetzung »Nutze den Tag« (etwa beim Preußen Fontane) gibt schon die protestantische Interpretation wieder. Sie entspricht Benjamin Franklins Spruch »Zeit ist Geld«, den er jedem »jungen Geschäftsmann« dringend als Handlungsimperativ anempfiehlt. In Max Webers Protestantischer Ethik ist Franklins Maxime der Inbegriff des kapitalistischen Geistes. Denn die Zeit wird ausschließlich nach dem Gesichtspunkt der Opportunitätskosten betrachtet. Nur Zeit, die in Geld verwandelt werden kann, zählt. Zeit, in der gefaulenzt wird, so Franklin, ist verlorene Zeit, und die Zinsen, die das so nicht erarbeitete Geld hätte abwerfen können, sind verloren. »Die Zeit ist der nicht erwirtschaftete, geldwerte Zins für Arbeit, welche hätte geleistet werden können und sollen! Nicht das gelingende Leben ist erstrebenswert, sondern die Nutzenmaximierung im Sinne von Profitmaximierung gilt fortan als normative Verhaltensmaxime.« 38 Der Mensch hat jetzt »nur noch Bedürfnis nach Nutzen«, schreibt Adelheid Biesecker, »er hat jetzt kein Bedürfnis nach Zeit mehr«. 39 Das Bedürfnis nach Zeit widerlegt die neoklassische Grundannahme unendlicher Bedürfnisse. Wer das Bedürfnis hat, nichts zu tun, hat offenbar keine unendlichen Bedürfnisse und keinen Mangel. Wer sich hinlegt, um zu schlafen, hat keine Opportunitätskosten, er muss und er will schlafen und sonst nichts.
    Damit wäre allein ein Drittel der Lebenszeit ausgefüllt durch eine »Tätigkeit« völlig ohne Opportunitätskosten. Kein Wunder, dass der Schlaf, der dem müßiggängerischen Faulenzen so ähnlich ist, dem Puritaner seit jeher höchst verdächtig ist, denn er stellt die totale Nutzbarmachung der Zeit fundamental infrage. Die Amerikaner leiden heute unter chronischem Schlafmangel, und das hat seine kulturellen Gründe, die schon Max Weber beschrieb: »Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden. Die Zeitspanne des Lebens ist unendlich kurz und kostbar, um die eigene Berufung festzumachen. Zeitverlust durch Geselligkeit, ›faules Gerede‹, Luxus, selbst durch mehr als der Gesundheit nötigen Schlaf – 6 bis 8 Stunden – ist sittlich absolut verwerflich.« 40 Zeit ist nur wertvoll, wenn sie in Geld messbaren Nutzen bringt. Wer täglich

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