Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
zehn Schillinge verdienen könne und den halben Tag spazieren gehe, verschwende die fünf Schillinge, die er in dieser Zeit hätte verdienen können, schrieb Franklin: »Wer ein Fünfschillingstück umbringt, mordet alles, was damit hätte produziert werden können, ganze Kolonnen von Pfund Sterling.« 41 Wer auf Rendite verzichtet, sündigt gegen Gott. Wer nicht ruhelos arbeitet, ist ein unproduktives Element der Gesellschaft.
Charakteristisch für die Einstellung der Puritaner zur Sinnlichkeit war, wie Max Weber ausführt, dass »die Freude an den rein ästhetischen oder sportlichen Genüssen« eine entscheidende Grenze hat: »Sie dürfen nichts kosten.« 42 Was sowohl finanziell als auch zeitlich gilt. Da der Mensch nichts wirklich besitzt, sondern alles lediglich (auf Zeit!) von Gott überlassen bekommt, droht die Gefahr, dass Gott den Sünder verdammt, der seine Zeit zum eigenen Genuss verausgabt. Daher der puritanische Drang, alles irgendwie nützlich erscheinen zu lassen: Sport dient der Ertüchtigung des Körpers für noch mehr Leistungsfähigkeit im Beruf. Coaching für mehr Arbeitszufriedenheit macht die Gecoachten noch produktiver. Charity ist dann gut, wenn es sich rechnet und dem Ansehen des Sponsors nützt. Compliance-Regeln etwa zur Korruptionseindämmung erschweren nicht etwa das Geschäft, sondern nützen ihm. Eine Tätigkeit, die den Nutzen nicht steigert, ist eine unerlaubte Tätigkeit.
In der Tat sind es die Puritaner, die mit dem »gelingenden Leben« als Lebensprinzip radikal Schluss machten. Zwar lag auch den Kirchenvätern nicht viel daran und sie diffamierten die Epikureer, wo sie nur konnten, aber in der mittelalterlichen Scholastik war ein aristotelisches, auf Gott bezogenes Leben vorstellbar, erst recht in der Renaissance oder bei Montaigne. Den Puritanern war das nicht asketisch genug. Sie hatten sich ja nicht gegen die katholische Kirche gewandt, weil diese zu streng war, sondern weil die üppige Renaissance-Kirche zu genießen verstand und militante Glaubenseiferer wie Savonarola als Ketzer verbrannte. Doch gegen Calvin war Savonarola ein Waisenknabe. Die Puritaner wollten vom genießerischen Hier und Jetzt nichts wissen, sondern konzentrierten sich ganz auf das Jüngste Gericht und auf die sie zermarternde Frage, ob sie Gottes Gnade finden würden.
Sünden sind ein Zeichen mangelnder Gnade Gottes und ein Zeichen des Nichterwähltseins. Der Calvinist wird so zum Zeichenmaximierer: »Er orientiert sein Handeln so, dass die Zeichen seiner Erlösung maximiert, die Zeichen seiner Verdammnis minimiert werden.« 43 Sündenlosigkeit und harte Arbeit sind die äußeren Zeichen der Erwähltheit, dazu kommt die innere Überzeugung, auserwählt zu sein. 44 Da er sich der Errettung aber nie sicher sein kann, sich zugleich aber vor seinem Gewissen sicher sein muss, ist auch nie der Punkt erreicht, an dem genug gearbeitet, genug Erfolg aufgehäuft und genug moralische Taten verrichtet wurden. Max Weber hat gezeigt, dass aus dem Nutzenmaximierer 45 aus religiösem Antrieb im modernen Industriekapitalismus ein Profitmaximierer geworden ist. Der moderne Manager muss nicht Protestant sein, um die ganze Palette der rationalen Lebensführung, der Selbstoptimierung und der Steigerungslogik auszuleben. Wenngleich er immer noch in den protestantischen Ländern typischer auftritt und sich vor allem in Kalifornien die neuesten Wandlungen und Radikalisierungen vollziehen.
Mangel und Knappheit, oder: Die Vertreibung aus dem Paradies.
Die merkwürdige Vorstellung der Ökonomen, dass die Welt voller Knappheiten wäre, entstammt der theologischen Interpretation der Puritaner über die biblische Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies. Sie findet sich bis heute in volkswirtschaftlichen Lehrbüchern, insbesondere bei Lionel Robbins, der die moderne Ökonomie als Lehre zur Bewältigung von Knappheitsproblemen definierte. Die Geschichte geht so: Im Garten Eden herrschte noch das Reich der Fülle, und der Mensch lebte ein beschauliches, schönes Leben, doch nach dem Sündenfall wird der Mensch zu einem Barbaren (Kain tötet Abel), wie ihn der Calvinist Thomas Hobbes im Leviathan beschreibt: ein Egoist, gefühllos und asozial, ohne Reue und Moral, der erst vom Souverän gebändigt und durch harte Arbeit »im Schweiße seines Angesichts« diszipliniert werden muss. Es ist das Bild des gefallenen Menschen, der zu nichts außer zur Sünde und zum Eigennutz 46 fähig ist. Bei Adam Smith übernimmt der Markt die
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