Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
gern. Den Sozialstaat nutzen sie bei Entlassungen ebenso gern. Wer den klassischen Standpunkt des Ordoliberalen im Sinne Ludwig Erhards einnimmt, um den wird es nicht selten recht einsam. Kritiker, welche die Ökonomen als »Agenten des Kapitals« oder von der Wirtschaft bezahlte Hilfstruppe abwerten, machen es sich deshalb zu einfach. Solche gibt es auch, aber meiner Erfahrung nach selten. Der entscheidende Punkt ist ein anderer. Die Denkweise der Ökonomen ist zu punktuell, manche sagen autistisch. Wohin das System steuert, interessiert sie nicht. Wachstum, Arbeitsproduktivität, »Mehr ist besser als weniger«, Gewinnmaximierung als Unternehmensziel, Wettbewerb, Staatsferne, Kostensenkung – diese Grundsätze hinterfragen sie nicht. Intellektuell abhängig von amerikanischen Vordenkern sind heute viele marktgläubiger als je zuvor und zu unkritisch. 55 Die Finanzkrise haben die allermeisten schlicht übersehen. Keiner hat mal gefragt, ob es nicht ungesund ist, dass sich das Volumen der synthetischen Finanzprodukte seit 1990 von zwei Billionen Dollar auf 63 Billionen in 2010 vervielfacht hat. Der Markt hat ja immer recht.
Selbstkritisch hatte Thomas Straubhaar, ein ökonomischer Berater der INSM , ein Fazit aus der Finanzmarktkrise gezogen: »Warum haben so wenige – auch ich nicht – kritisch hinterfragt, wer, erstens, ein ganz profanes persönliches Interesse am Effizienzmythos der Finanzmärkte hat, und wer, zweitens, in welcher Form auch immer in der Praxis vom Glauben an die Effizienz von Finanzmärkten profitiert.« 56
Die Ökonomie muss realitätsnäher werden, in ihrem Menschenbild und in ihrem Blick auf die Gesamtgesellschaft. Die Gesellschaft sollte »Regeln, Anreize und Sanktionen dergestalt setzen, dass Menschen dazu gebracht werden, sich so zu verhalten und ihr Tun oder Lassen so zu verändern, dass mikro- und makroökonomisches Erfolgsstreben möglichst deckungsgleich werden«, fordert Straubhaar. Das würde bedeuten, dass die Ökonomie ihr Erkenntnisinteresse auch auf die Folgen der Beschleunigung und des Konsumismus richtet und auf die Tatsache, dass wir zu viel arbeiten und uns der Konsum so wenig befriedigt.
Macht nur Konsum uns einzigartig?
Eine Frage ist noch offen: Wie konnte aus dem protestantisch-asketischen Sparkapitalismus ein hemmungsloser Konsumismus werden? Ich habe oben schon angedeutet, dass für den Siegeszug des heutigen Konsumismus der romantische Sozialcharakter die zentrale Rolle spielt, weil er zur Inszenierung seiner imaginierten Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit eine wachsende Vielzahl von Produkten und Events benötigt, um sich ständig neu zu erfinden. Im Ergebnis bringt sich das romantische Selbst um jedes »unbefangene Genießen«, denn dem Konsum fehlt jede Leichtigkeit, er hat manisch-depressive Züge, das Selbst ist erschöpft, und die Menschen laufen mit einem schlechten Gewissen herum – Phänomene, die seit jeher zum Puritanismus gehören. Eine kurze historische Analyse soll zeigen, wie diese wesentlichen Elemente in die Gegenwart transformiert wurden.
Schon zu Adam Smiths Zeiten hätte das protestantische Großbürgertum über genug Geld verfügt, um ein wunderbar dekadentes Luxusleben führen zu können. Doch Intellektuelle, die sich dafür starkmachten, brachte die puritanische Kultur nicht hervor, anders als katholische Länder etwa mit Choderlos de Laclos, Casanova oder dem Marquis de Sade. Dazu war das angelsächsische Ressentiment gegen einen libertären adeligen Liebes- und Lebensstil zu dominant. Einzig Bernard Mandeville mit seiner Bienenfabel, die Smith stark beeinflusst hat, ist eine bezeichnende Ausnahme. Der Bienenstock prosperiert, solange dort die Anwälte das Recht verdrehen, die Ärzte die Patienten betrügen, die Minister korrupt sind. Als die Gesellschaft sich zur Moral entschließt, versiegt die Geschäftigkeit und damit der Wohlstand. Mandevilles Fazit: Private Laster sind eine notwendige Bedingung für öffentliches Wohl. Man warf ihm vor, dass die Nützlichkeit des Lasters nichts daran ändere, dass es böse sei. Genau das interessierte aber Mandeville nicht, denn Mandeville war Calvinist und Utilitarist. Im zweiten Band der Fabel betont er, dass die Welt tief in die Sünde verstrickt ist. Die Erwählten sind tugendhaft, die übrige Welt geht ihren sündhaften, gleichwohl von Gott vorherbestimmten Weg. Gott lässt auch den gefallenen Menschen an der Prosperität teilnehmen, »daher gilt es, das System, das den irdischen
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