Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
nie getraut. Die rebellische Gegenkultur der 68er ist nicht aus dem Massenkonsum ausgestiegen, wie sie sich selbst in großen Teilen einredete, sondern sie hat den erlebnisorientierten Konsumismus erst richtig etabliert, indem sie ihm das dazu passende Selbst schuf. Sie ging den Schritt vom Massenkonsum zum individuellen Konsum und der damit verbundenen Ich-Inszenierung: »Sei du selbst!«, »Lebe dein Leben!«, »Phantasie an die Macht!« – die Ideen der romantische Konsumkritik sind bis in die Wortwahl hinein zur Kernideologie der Werbung geworden. Der romantische Drang nach Überhöhung, der das Neueste und Beste immer an anderer Stelle als im trivialen Alltag vermutet, schickt uns auf die Jagd nach immer neuen Konsumerlebnissen. Die Konsumindustrie hat in diesem gesteigerten Neuerungs- und Überbietungswahn ihren verlässlichsten Nachfrager.
Damit hat es eine zeitgemäße Konsumkritik schwer, denn die romantische Gegenkultur, die früher noch gegen die Konsumindustrie opponierte, hat sich mit dem anderen Lager verbrüdert. Am unkritischsten gebärdet sich die digitale Boheme, die sich bei Börsenmultis wie Google oder Facebook anbiedert und von ihnen Befreiung und eine alternative Gegenwelt erwartet. Ein Apple-Produkt macht hip, jung, kommunikativ, easy, modern, ästhetisch, die Fans fühlen sich als Teil einer Mission. Es fällt schwer, diese und die vielen anderen Spielarten der Dauerselbstinszenierung zu kritisieren, denn die Kritik zielt dann eben auch gegen den Lebensentwurf. Sie wird als Angriff auf die freie Wahl empfunden, auch wenn sie lediglich den Überbietungswahn der Konsumkultur kritisieren will. Niemand will anderen die Freiheit nehmen, sich selbst zu verwirklichen, und sei es durch Konsum, niemand will Apple-Fans daran hindern, zu viel Geld für Apple-Produkte auszugeben. So mäkelt die Konsumkritik an zu viel Salz im Snack herum oder an Kinderarbeit in der T-Shirt-Produktion. Wenn wir unsere Identität immer stärker über die Konsuminszenierung beziehen, dann fällt es schwer, die Steigerungsspirale des Konsums zu kritisieren. Dann können wir nicht sagen, wie wir aus der Steigerungsspirale wieder rauskommen.
Die beste Antwort darauf ist vielleicht die einfachste. Wie wollen wir leben? Wieder sind wir bei der aristotelischen Frage nach dem guten Leben. Befunde wie jener, dass sich das »Selbst erschöpft« durch die gesteigerte Dauerinszenierung, sollten wir ernst nehmen. Die Glücksforschung zeigt, dass die freie Entscheidung am Wühltisch oder auf der Groupon-Rabattwebsite wenig zur Zufriedenheit beiträgt. Sie verweist uns auf jene Glücksgüter, die nachweislich besser das Versprechen nach Sinn, nach Authentizität und nach Glück einlösen: Konstanz, Nachhaltigkeit, Balance, innere Mitte, Normalität, Sinnlichkeit – das waren schon die Themen der antiken Glückslehre. Wir müssen also nicht nur den Puritaner in uns ablegen, sondern auch den Romantiker.
1 Das gilt auch für das untere Drittel der Einkommensbezieher. Sie sind heute kaufkräftiger als das obere Einkommensdrittel vor vierzig Jahren.
2 Uchatius 2013, S. 17.
3 Duesenberry 1949.
4 Ich folge hier Manfred Prischings eingehender Analyse der »neokonsumistischen Geisteshaltung unserer Gegenwart« in: Die zweidimensionale Gesellschaft (Prisching 2009b, S. 20 ff).
5 Man muss aber genau hinschauen. Buddha und Urban Gardening können Inszenierungen sein, die morgen schon vergessen sind, sie können aber auch eine ernsthafte Beschäftigung sein, die dauerhaft Glück und Freude spendet.
6 Dass die Welt vorläufig ist, dass der Mensch sich darin bewähren muss und das eigentliche Leben erst in der Zukunft anfängt, ist ein sehr calvinistischer Gedanke.
7 Kahneman, Diener und Schwarz 1999.
8 Sloterdijk 1994, S. 20.
9 Schon der Soziologe Emile Durkheim bemerkte, dass »der Hunger nach immer neuen Dingen« und »überhitzter Ehrgeiz« keine solide Grundlage für das Glück bilden können (Durkheim 1973, S. 293).
10 Dicke und Dünne: Diskriminierung gestattet, Psychologie heute 1/2013.
11 Beim Statuswettbewerb bemühen sich die Menschen, ihre Statusposition zu verteidigen. Die allgemeine Lebenszufriedenheit kann aber dadurch nicht verbessert werden, denn der Statuswettbewerb ist ein Nullsummenspiel: Man kann nur aufsteigen, wenn ein anderer absteigt. Ähnlich wirkt die Anspruchstretmühle: Mit dem höheren Einkommen steigen die Ansprüche an den Lebensstil. An den gewöhnen wir uns, so dass das Glücksgefühl auf das
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