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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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Angstempfindungen, sie kontrollieren sie. Das ist neu. Der traditionelle Hedonismus hatte die Reize gesteigert, aber die Romantik psychologisiert die Emotionen.
    Darin besteht der Schritt zum modernen Konsumismus: Während der traditionelle Hedonismus Genüsse sinnlich verfeinert und differenziert und sie aufgrund ihrer stimulierenden Eigenschaften beurteilt, nimmt der moderne Konsumismus Bezug auf die eigenen Emotionen. Was ein Produkt in mir auslöst, ist wichtiger als seine tatsächliche Reizqualität. Nur weil dieses Konsumverständnis heute dominiert, wird eine Castingshow wie Voice of Germany von den Zuschauern ernst genommen: Der Junge singt grottenschlecht, trifft kaum einen Ton, aber er löst etwas Emotionales im Juror aus, das dieser gar nicht inhaltlich erläutern muss, es genügen Superlative der Begeisterung, in die das Publikum mit einfällt.
    »Die eigentlichen Objekte des konsumistischen Begehrens sind nicht die Dinge, sondern emotionale Zustände«, schreibt Schrage. 64 Statuswettbewerb ist weniger wichtig als die Authentizität, die das Produkt verleiht. Güter benötigt man wegen ihrer Symbolik. Was trägt ein Produkt zu meiner Selbsterschaffung bei? Wie erfinde ich mich neu, wie dehne ich meinen Erlebnis- und Möglichkeitsraum aus? Am Endpunkt dieser Entwicklung kauft der heutige Konsument nicht, weil er die Produkte braucht oder weil er sich sozial abgrenzen will, sondern Konsum ist für ihn vor allem »ein Medium einer selbsttätig betriebenen und steigerbaren Selbstentfaltung«. 65 Konsumieren wird zu einem Akt der Selbsterschaffung, des Identitätsaufbaus. Die gegenwärtig letzte Steigerung ist dann das Bedürfnis nach neuen Bedürfnissen.
    Wir sind unendlich narzisstisch geworden: Den Partner liebt man nicht, sondern man liebt die Liebe, das Gefühl verliebt zu sein. Man horcht in sich hinein und schwärmt nicht von einem Film, einem Bild, einem Song, weil sie gut sind, sondern von der Resonanz, die das in einem selbst auszulösen vermag. Das Ich ist zum absoluten Bezugspunkt geworden, und der Konsum dient der Beglaubigung dieser Einzigartigkeit. Wie dieser Überbietungswettbewerb in Frustration und Unzufriedenheit mündet, habe ich oben schon beschrieben.
    Niemand will anderen die Freiheit nehmen, und sei es »nur« beim Konsum.
    Rekapitulieren wir noch einmal: Im Pietismus entsteht eine stark ichbezogene Emotionalität, die ständig auf ihre Authentizität überprüft wird. Die Romantik verstärkt diese Subjektivität und erschafft das »romantische Selbst«, das von seiner Einzigartigkeit überzeugt ist und nach Überhöhung und Steigerung der Erlebnisse sucht. In den trivialen Konsumprodukten des kleinbürgerlichen Alltags findet sich der Romantiker nicht wieder, denn er ist außergewöhnlich und weiß: So wie die Liebe ihre höchste Beglaubigung in der Unerfüllbarkeit erfährt, so findet sich das Authentische nicht im Normalen. Der Romantiker ist insofern nicht zufriedenzustellen. Der Künstler, der diese romantische Authentizität verkörpert, lehnt den Geschäftsmann ab, weil er in ihm einen sich selbst entfremdeten Menschen sieht, der funktioniert, statt seine Einzigartigkeit auszuleben. Diese Frontstellung war noch bei den Hippies und den 68ern so. Die jugendliche Protestkultur lehnte den »Konsumterror« der Neckermanns, Aldis und Karstadts ab, zog sich aber nicht zurück, sondern überschritt die Konsumwelt der Eltern, indem sie neue Mode kreierte, andere Musik hörte, unbekannte Strände entdeckte und die Esskultur exotisch erweiterte.
    Das Streben nach Erlebnisintensität, nach Abwechslung und Einzigartigkeit ist das größte Geschenk, das die Gegenkultur der 68er der Konsumindustrie machen konnte, denn Otto Normalverbraucher war damals schon überversorgt. Der deutsche Provinzler würde heute noch in den Bayerischen Wald in den Urlaub fahren, wenn die Hippies nicht das unbekannte Terrain in Indien oder Marokko vorerkundet hätten und so »abseits der Touristenpfade« dem neuen Massenkonsum den Weg geebnet hätten. Was wären unsere Konsumlandschaften ohne die Popmusik und ohne die Bilder Hollywoods, die die Sehnsucht nach dem Unbekannten, Neuen und Außergewöhnlichen so romantisch begleiten?
    Keiner konnte die Traumwelten der Konsumindustrie besser illustrieren als die Künstlertypen, die aus den Kunstakademien in die Werbeagenturen strömten. Sex als Werbemittel verdankt sich der Enttabuisierung durch die Künstlerkritik, die spießigen Industriebosse hätten sich das allein

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