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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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Rolle des Disziplinators. Ähnlich wie der Genfer Calvinist Jean-Jacques Rousseau 47 meint Smith, dass die Gesellschaft den Menschen zu künstlichen und unnötigen Bedürfnissen verführt: »Man bringe einen Wilden in die Gesellschaft, und er wird seine Leidenschaften vermehren.« 48 Erst die künstliche Knappheit, welche die Gesellschaft erzeugt, »zwingt die Menschheit zur Arbeit«. 49 Der Markt macht die Faulen fleißig, und den Egoismus verwandelt er durch die »invisible hand« in eine Wohltat für alle. Zweihundert Jahre später heißt die bis heute gültige Definition von Lionel Robbins: »Ökonomie ist die Wissenschaft, die das menschliche Verhalten studiert als eine Beziehung zwischen Zielen und knappen Mitteln.« Und er begründet es mit dem Sündenfall: »We have been turned out of Paradise.« 50
    Man braucht schon ein calvinistisches Verständnis von Sündenfall und Paradies, um zur Grundlage des Wirtschaftens auf Ideen wie umfassenden Mangel und unendliche Bedürfnisse zu kommen. Im antiken Ägypten gibt es die sieben fetten und die sieben mageren Jahre, also Zeiten des Mangels und Zeiten des Überflusses. Traditionelle Ethnien wie die brasilianischen Pirahã, die Daniel Everett als »das glücklichste Volk« 51 der Welt beschreibt, kennen nicht den Hauch einer Vorausplanung oder die Angst, man lebe in Knappheit und würde am nächsten Tag nichts zu Essen haben. Je nach Lage der Dinge stehen sie auf und gehen auf die Jagd, von unendlichen Bedürfnissen, Opportunitätskosten oder Nutzenmaximierungszwang werden sie nicht heimgesucht.
    Die Ökonomen schwindeln also, wenn sie behaupten, das Modell des Homo oeconomicus, der in einer Welt knapper Mittel den maximalen Nutzen anstrebt, sei wertneutral und die Maxime »Mehr ist besser als weniger« enthalte kein Werturteil. Sie verleugnen damit die calvinistische Herkunft ihrer Grundannahmen, die sie schlicht in wissenschaftliche Wahrheiten umetikettiert haben. 52 Gerade der Unterschied zum antiken Konzept des »guten Lebens«, also einer klugen Balance zwischen den Leidenschaften, macht das deutlich. Die Puritaner wollten kein gutes Leben, sondern ein gottgefälliges, um mit ihrer Obsession Zeichen des beruflichen und moralischen Erfolgs zu maximieren, setzten sie die Steigerungslogik in Gang, die dann durch die Industrialisierung und den heutigen Konsumismus noch mehr Tempo aufnahm. Das Modell fordert: Der Mensch soll seine Zeit nützlich, das heißt durch Arbeit, verbringen, er soll seinen Nutzen maximieren und alles, was er tut, in Geld bewerten. 53 Wenn das eine wertneutrale Haltung ist, dann sind die Taliban ein Verein zur Förderung der religiösen Toleranz.
    Hand aufs Herz: Die Ökonomie ist doch in den vergangenen Jahrzehnten nicht dadurch aufgefallen, dass sie ein Konzept des guten Lebens, wozu eine Verhaltenswissenschaft ja auch eine Meinung haben könnte, in Stellung gebracht hätte gegen die Beschleunigung, die Effizienz- und Renditelogik oder das Eindringen des Marktes und des Geldes in alle möglichen Bereiche des Lebens. Im Gegenteil, sie trieb genau das voran. 54 Gern liefert sie Vorschläge, wie durch noch mehr Wettbewerb mehr Effizienz, Rendite und Beschäftigung geschaffen werden kann. Sie spricht sich für Arbeitszeitverlängerung, höhere Beschäftigungsquoten, Konsumstimulierung, Deregulierung etc. aus. Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass es dafür in jedem Einzelfall auch gute wirtschaftliche Gründe geben kann. Aber im Gesamtbild ist das ein Programm zur Beschleunigung der Wachstums- und Konsumspirale. Konsequenterweise sollten die Ökonomen aufhören, dem Publikum einzureden, die Ökonomie sei eine neutrale Wissenschaft und hätte keine Wertagenda. Für die Wirtschaft sind die Ökonomen ein wichtiger Lieferant guter Argumente. Bei der INSM habe ich oft auf ökonomischen Sachverstand zurückgegriffen. Ich habe Studien beauftragt, einen Ökonomenblog eingerichtet und Professorenumfragen veröffentlicht, um ihre Meinung zu kommunizieren. Diese deckte sich oft mit der Arbeitgeberseite, und das kam uns natürlich gelegen. Meistens lief es darauf hinaus, dass mehr Wettbewerb mehr Arbeitsplätze schafft und die Preise senkt. Oder dass ein Subventionsabbau den Staatshaushalt und damit die steuerzahlenden Unternehmen entlastet und für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgt und so weiter. Manchen Unternehmens- und Verbandsvertretern waren diese Ergebnisse, die ich dann medienwirksam verbreitete, gar nicht recht. Subventionen genießen sie

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