Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Reichtum schafft, zu erkennen und seine Wirksamkeit zu steigern«. 57 Dieses System ist der Markt, er macht den Herrscher überflüssig. Mandeville und Smith präsentieren eine Marktgesellschaft, die keine Moralität braucht und auch keine Vorschriften, worin das gute Leben besteht. Das Böse verwandelt sich, auch wenn der Teufel es anders will, durch die wunderbare Kraft des Markts zum Guten, der Egoismus wird in Gemeinwohl verwandelt. 58
Doch bei der Beschreibung der Laster bleibt Mandeville sehr einseitig: korrupte Juristen, faule Ärzte. Wie phantasievoll waren dagegen die französischen Libertins, die vor ihren Lesern ein dekadentes Leben farbenreich ausschmückten. Dagegen betreibt der Calvinist Mandeville die Entfesselung des Egoismus nicht, um die Sexualmoral zu lockern oder um für eine Genusskultur mit all ihren Ausschweifungen und ihrer Leichtigkeit zu plädieren. Er entfesselt den Egoismus allein aus dem profanen Grund, damit der Freihandel besser floriert und die Leute länger arbeiten und mehr verdienen können. Die Vorstellung einer zur Ruhe gekommenen Welt erfüllt ihn mit Unbehagen. Mandeville entwirft gigantische Projekte (Urbarmachung von Land), die von einer disziplinierten Arbeiterschaft durchgeführt werden sollen. Unbefangenes Genießen kommt dem sicherlich »frivolsten« Denker im Umkreis von Adam Smith nicht einmal in den Sinn. 59 Adam Smiths Freund David Hume drückt die puritanisch-aufgeklärte Variante der damaligen Konsummoral so aus: »Luxus ist eine Quelle vieler Übel, wenn er ausschweifend wird, doch ist er Faulheit und Müßiggang grundsätzlich vorzuziehen.« 60 Ein moderater Konsum zivilisiert laut Hume die Eliten, reizt zum Fleiß und motiviert den Aufstieg. Auch er sieht den Luxus ausschließlich unter dem Aspekt der Nützlichkeit: Es wird mehr produziert, die Faulen werden diszipliniert, und die Gesellschaft bleibt dennoch tugendhaft.
An diesem Punkt setzt der Soziologe Colin Campbell 61 an: Ihn interessiert, wie das englische Bürgertum des 18. Jahrhunderts konsumierte, und er zeigt, dass es sich nicht am Luxuskonsum der verhassten Aristokratie orientierte wie das französische Großbürgertum. Zu ihrem asketischen Konsumverhalten waren sie fähig, weil sie sich beherrschen konnten. Dazu befähigte sie eine aus dem Pietismus herrührende persönliche, innere und gefühlsbetonte Emotionalität, die sich auf Wohltätigkeit und auf Gott bezog. Während Weber die kalte Seite, den asketischen, auf Geld und Nutzen orientierten Berufsmenschen hervorgehoben hatte, verweist Campbell auf die warme, die »empfindsame« Seite des Pietismus. In Anlehnung an Weber nennt Campbell sein Buch The Romantic Ethic and the Spirit of Modern Consumerism . Während bei den Calvinisten die asketische Leistung im Vordergrund steht, ist es bei den Pietisten die authentische Innerlichkeit. Aus ihr sollte sich die mentalitätsmäßige Grundlage für die in unserer Gegenwart wirksame »konsumistische Geisteshaltung« entwickeln.
Sowohl die »asketische« als auch die »empfindsame« Seite haben gemeinsam, dass das Heil nur durch methodische Lebensführung und maximale Gefühlskontrolle zu erreichen ist. Beide intensivieren die Bedeutung des Individuums: Die utilitaristische Spielart rechnet die Zeichen der Erwählung rational auf und stellt den Erfolg zahlenmäßig dar, die sentimental-romantische Spielart erfährt die Zeichen Gottes introspektiv. Der Pietist erfährt die »permanente Aufforderung, eine angemessene Sensibilität aufzubringen, um die Welt mittels ethischer Gefühle zu bewerten«. 62 Der Berufsmensch und der Romantiker sind beide asketisch, denn sie sind in unablässiger Selbstüberprüfung damit beschäftigt, entweder ihren Nutzen zu maximieren oder introspektiv ihre Authentizität zu begründen. 63 Campbell zeigt, dass aus der pietistischen Empfindsamkeit zwischen 1600 und 1800 der »Geist der Romantik« hervorgeht und daraus später die Haltung der Bohemiens und der Gegenkultur.
Campbell ist deshalb für das Verständnis unserer heutigen Konsummentalität so wichtig, weil er beschreibt, wie Pietismus und Romantik unsere Emotionalität verändert haben, indem sie sie kontrollierbar und sentimental machten und damit in gewisser Weise künstlicher. Gefühle durchwandern mehr Kontrollen, bevor sie zugelassen werden. Schauerromane wie Frankenstein , die Ende des 18. Jahrhunderts aufkamen, illustrieren, wie sich die Emotionalität verwandelt. Die Leser delektieren sich an ihren eigenen
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