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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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wie Rachel Carson, die mit dem Buch Silent Spring die deutsche Umweltbewegung stark beeinflusste, sowie John Muir, David Brower u. v. a. aus der presbyterianischen Kirche kamen. 43 Wie die Urcalvinisten prangern sie die Gier des Menschen und seine Korrumpiertheit durch Luxusbedürfnisse an. Gerade als der Zeitgeist in den 1960er Jahren ganz vom Optimismus des Konsumkapitalismus durchdrungen war, wandte sich der asketische Puritanismus unter der Führung dieser Umweltschützer der Natur zu: Die Versuchung zum Bösen ist jetzt nicht länger eine Schlange im Garten Eden, sondern es sind die Verlockungen der modernen Technik, denen der Mensch erliegt, weil er sich davon ein sündiges Leben in Saus und Braus und ohne Grenzen verspricht. Die ökologische Rhetorik ist in der Tat geprägt von religiösen Begriffen: Die Apokalypse wird ständig beschworen, sei es DNT , Saurer Regen, Atomkraft oder jetzt Klimawandel, wobei wie bei den Zeugen Jehovas falsche Untergangsprognosen nichts am grundsätzlichen Apokalypseglauben ändern.
    Sogar die Erbsünde wurde reanimiert in Form des »ökologischen Fußabdrucks«: Der westliche Mensch versündigt sich an der Erde allein schon durch seine pure Existenz, denn er zerstört den Planeten durch seine Verschwendungssucht. Jeder westliche Mensch zehrt durch seinen Lebensstil an der Substanz des Planeten. Diese Schuld wird der Mensch nicht los, er kann nur einen Teil durch ein asketisches Leben abtragen.
    Al Gore, der grünbewegte frühere US -Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger, inszenierte 2008 seine »Live Earth«-Kampagne in Narrativen der pietistischen Erweckung: Nach seiner Niederlage gegen Bush zog Gore sich zurück, um in der »Abgeschiedenheit« hart an sich zu arbeiten und zu seinem »wahren« Selbst zu finden. Seine Schwester war an Krebs gestorben, der auch durch jene Tabakplantagen hervorgerufen wird, denen Gores Familie ihren Reichtum verdankt. Nun, geläutert, rief Gore zum Kampf auf gegen die Hybris, die den Planeten und die Gesundheit der Menschen gefährdet: Der Klimaschutz ist dafür besonders passend, denn er bietet das urpuritanische Schuldmotiv und die tätige Reue, denn der sündige Mensch kann etwas gegen den Klimawandel tun: Just do it.
    Alle plagt das Gewissen: Die einen fragen sich, ob sie genug geleistet, die anderen, ob sie sich ökologisch korrekt verhalten haben.
    Heute stehen sich zwei calvinistische Religionen gegenüber: Ökonomen und Ökologen, meint der Historiker Robert H. Nelson. Er hat den Kampf der beiden Calvinismen als »Holy War«, als Heiligen Krieg, beschrieben: Die optimistische Variante sind die Ökonomen, die pessimistische sind die Ökologen. Beide folgen dabei puritanischen Werten und Leitideen. Die Ökonomen glauben, durch harte Arbeit, den Wettbewerb und die Beherrschung der Technik eine perfekte Welt bauen zu können. Darin durchläuft die Menschheit einen ständigen Optimierungsprozess. Sie arbeitet härter als je zuvor, sie ist intelligenter und gebildeter als je zuvor, sie ist körperlich leistungsfähiger und am Ende durch Compliance etc. auch moralischer als je zuvor. Zur Selbstverbesserung dienen alle technischen Mittel: Prozac, Gentechnik, Gehirndoping, alles. Der Fortschritt der Menschheit ist unaufhaltsam, jede neue technische Errungenschaft, zuletzt das Internet, dient der Höherentwicklung.
    Die Ökologen dagegen appellieren an das Schuldbewusstsein und die Umkehr. Der Mensch versündigt sich an der Umwelt, dem » book of nature« , und die Welt muss von dem Schlechten gereinigt werden, das sie vergiftet und zerstört. Der Mensch muss umkehren zu einer Bescheidenheit und ursprünglichen Askese, die der Konsumkapitalist schamlos vermissen lässt.
    Beiden gemeinsam ist eine Steigerungslogik: hier durch Beschleunigung von Markt und technischem Fortschritt, dort durch das Hochschrauben asketischer und moralischer Forderungen. Beide haben auch keinen Begriff vom guten Leben, also einer Balance zwischen den Extremen. Denn beide plagt das schlechte Gewissen: Die einen fragen sich am Abend, ob sie heute genug geleistet haben, die anderen, ob sie sich heute ökologisch korrekt verhalten haben. Exponenten aus beiden Lagern dieses »Holy Wars« zählen zu den Vordenkern unserer politischen und gesellschaftlichen Debatten. Beide Seiten denken radikal, in Kategorien religiöser Welterlösung. Bei den Ökonomen kennen wir das vom Messianismus eines Milton Friedman 44 oder etwa des Ökonomienobelpreisträgers Robert Mundell, der

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