Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
betrieben, wo sich die Anhänger in veganischer Enthaltsamkeit übertreffen. Die Umweltproblematik zwingt uns nicht zu einem genussfeindlichen Asketismus.
Die Slow-Food-Bewegung zeigt, dass die Zukunft des Kapitalismus von seiner Kultur abhängt. Die Marktgesetze zwingen uns nicht, uns so ungesund zu ernähren wie die Amerikaner. Dass die Fast-Food-Kultur in den USA entstand, wird uns nicht wundern. Ebenso wenig, dass die Slow-Food-Bewegung im katholischen Italien entstand. Über die kulturellen Wurzeln der amerikanischen Küche schrieb schon 1972 der spanische Essayist Octavio Paz: »Der Genuss ist eine Vorstellung, die der amerikanischen Küche fremd ist … Es ist eine Küche ohne Geheimnisse: einfach, ungewürzt, nahrhaft. Es gibt keine Raffinessen. Die Mohrrübe bleibt eine Mohrrübe, die Kartoffel schämt sich nicht ihres Kartoffelcharakters, und das Steak ist ein blutiger Gigant … Genau wie die Tischmanieren sind auch die Beziehungen zwischen den verschiedenen Zutaten und Gewürzen direkt und geradeheraus … Verboten sind verbergende Zutaten und Verzierungen, die das Auge anregen und den Geschmack verändern. Die strenge Trennung der einzelnen Zutaten entspricht der Zurückhaltung, die bei Sexual-, Alters- und Klassenverhalten vorgeschrieben ist. In anderen Ländern ist die Mahlzeit eine Kommunion, und dies nicht nur für die am Tisch Sitzenden, sondern auch für die Zutaten. Demgegenüber ist die amerikanische Mahlzeit eine Mischung aus Puritanismus und Verboten.« 47
McDonald’s ist puritanisches Fast Food, nicht Kapitalismus. Wer denkt wie ein Puritaner, der isst auch wie ein Puritaner. Wenn das Essen keine Communio mehr ist, sondern ein Nebeneinander an einem Tisch mit Plastikgeschirr, oder noch schlimmer ein Brown-Bag-Snack, mit dem man zurück zum Arbeitsplatz hetzt, dann ist das eine Frage der Kultur und nicht der Marktwirtschaft. Wir müssen allerdings dafür sorgen, dass uns die Systemzwänge der Renditelogik nicht in die Tretmühle hineinzwängen. Für den Franzosen beispielsweise ist Essen Genuss, es geht um richtige Zutaten, um sorgfältige Zubereitung, um Verfeinerung, Intensivierung und Inszenierung, auch um den respektvollen Umgang mit Nahrung, Tieren und Pflanzen. Die schwierigere, qualitätsvolle und bewusstere Form des Essens macht glücklicher als Fast Food.
Es sollte eben nicht um Effizienz gehen, die danach bemessen wird, wie schnell man die Kalorien aufgenommen hat, die nötig sind, um wieder voll arbeiten zu können. Im guten Leben ist Essen ein Zweck an sich, kein Mittel, um die Arbeitskraft wiederherzustellen. Man darf so viel Zeit dafür aufwenden, wie man will. Das geht aber nur, wenn die Zeit nicht Ausdruck einer Wertung ist: Zeit ist Geld, und Geldverdienen ist der höchste Wert.
Zugegeben, mit Fast Food kann man sich auf sehr unkomplizierte und einfache Weise satt machen, und ab und an ist dagegen wirklich nichts zu sagen. Wenn man aber den Prozess achtet, wie man kocht, wie man isst, dann gewinnt auch die Frage nach den Essmanieren an Bedeutung, auch die nach Ritualen, etwa dem gemeinsamen Mittagessen der Familie. Dann sind wir bei der Kultur.
Essen ist ein Wert an sich und wird ebenfalls nur zum Nutzen herabgewürdigt, wenn es zur ökologischen Bußübung wird. Als moralischer Pflichtparcours, wo es um den Ausweis einer bestimmten ökologischen Korrektheit geht. Der amerikanische Ernährungskritiker Michael Pollan, der der Fast-Food-Kultur vorwirft, sie betrachte Essen lediglich als Treibstoff, schießt aber auf seine Art übers Ziel hinaus, wenn er meint, dass er nur genießen kann, wenn er von allen Zutaten die Herkunft kennt und weiß, dass alles ökologisch korrekt abläuft. Wenn wir uns von den Übertreibungen und moralischen Überforderungen des Puritanismus – in seiner ökonomischen oder asketischen Variante – befreien wollen, sollten wir uns auf jene Traditionen unserer Kultur besinnen, die das gute Leben bevorzugt haben. Da lebt es sich einfach besser.
1 Durkheim 1983, S. 281.
2 Das Rauchen verbot schon Cotton Mather im 17. Jahrhundert in Neuengland, es ist wie Alkohol (Prohibition) und Drogen ein besonderes Objekt der moralischen Begierde der Puritaner. Im 21. Jahrhundert ging Amerika mit dem Rauchverbot voran, Deutschland zog mit ähnlichen Gesetzen nach. Der Schriftsteller Paul Auster sagt dazu: »Dieses Problem hat eine lange Vorgeschichte. Es geht zurück auf diesen unglaublich ausgeprägten Puritanismus. Der liegt wie ein Fluch auf dem Land.«
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