Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
meinte, dass »es weder eine Great Depression noch eine Nazi-Revolution noch einen Zweiten Weltkrieg gegeben hätte« 45 , wenn die ökonomischen Marktgesetze wissenschaftlicher angewendet worden wären. Bei den Ökologen kennen wir die apokalyptische Beschwörung etwa bei Dennis Meadows, Exdirektor am Massachusetts Institute of Technology, der 1973 mit Die Grenzen des Wachstums die Ökobewegung in Deutschland auslöste. In einer Anhörung der Bundestags-Enquete-Kommission 2012 prophezeite Meadows der Menschheit eine Hungerkatastrophe biblischen Ausmaßes, das westliche Wirtschaftssystem werde kollabieren. Mehr als drei Milliarden Menschen könne der Planet nicht tragen. 46 Und weil wir heute sieben und bald schon neun Milliarden Menschen zählen, hat sich Meadows sicherheitshalber zu Hause schon mal ein Notstromaggregat samt 500-Liter-Reservetank zugelegt. Es ist, als ob Noah, der Gerechte, davon spricht, dass nur wenige die große Bestrafung überleben werden.
Die Ökomoral arbeitet daran, den Menschen ein permanent schlechtes Gewissen einzureden und ihnen die Freude am Leben zu vermiesen. Wie früher die Sexualmoral mischt sie sich in die intimsten Dinge ein: was man essen, wo man hinreisen, was man anziehen darf und so weiter. Gründe für ihre Vorschriften hat sie genug: Der westliche Lebensstil ist nicht nachhaltig, weil wir zu viel Energie, zu viel Landschaft und zu viele Ressourcen verbrauchen. Wir müllen die Erde und die Weltmeere zu und heizen die Atmosphäre mit Treibhausgas auf. Der westliche Konsumstil ist ungesund und muss eingeschränkt werden, wenn die Vielfalt der Natur erhalten und eine wachsende Weltbevölkerung ernährt werden sollen. Greenpeace und Foodwatch spielen perfekt auf der Klaviatur des schlechten Gewissens westlicher Wohlstandsbürger. Bei den Vegetariern gibt es sogar verschiedene »Konfessionen«, etwa die Lacto-Ovo-Vegetarier, die im Streit liegen mit den Veganern, die jede Nutzung von Tieren radikal ablehnen. Die Veganer verlangen mehr Askese, um so ihre moralische Überlegenheit zu demonstrieren.
Mit einem guten Leben hat dies ebenso wenig zu tun wie mit einer angemessenen Reaktion auf die Umweltprobleme. Wie groß die Bedrohung der Natur ist und welche Maßnahmen insgesamt sinnvoll wären, darüber gibt es weltweit, wie nicht anders zu erwarten, große Uneinigkeit. Für rigorosen Aktionismus besteht oftmals kein Grund. Nur ein Beispiel: Wasser zu sparen, macht in Deutschland keinen Sinn. Berlin hat ein Problem mit zu viel Grundwasser, nicht mit zu wenig. Nur 9 Prozent des Wasserverbrauchs entfallen auf private Haushalte. Den Menschen einzureden, sie sollten beim Zähneputzen den Wasserhahn abdrehen, ist also reine Schikane. Wie in der Religion funktioniert die Kontrolle und Machtausübung über das schlechte Gewissen. Man soll sich für jeden Frevel verantwortlich fühlen und Buße tun.
Einem Kind zu sagen, es soll sein Pausenbrot aufessen, oder Maßnahmen zu fordern, dass wir unsere Plastikabfälle nicht mehr ins Meer werfen, ist sinnvoll und angemessen. Ökomoralismus beginnt aber dort, wo der Einzelne die Last der ganzen Welt aufgeladen bekommt. Was muss der ökologisch korrekte Konsument nicht alles überprüft haben, bevor er auch nur eine Hose guten Gewissens kaufen darf: Stammt die Wolle aus biologischer Schafzucht, welche Chemikalien wurden eingesetzt, wurden dabei Mindestlöhne bezahlt, wie steht es um die Beachtung von Compliance- und Gender-Richtlinien? Ökomoralisten haben nur dieses eine Thema und wollen uns mit einem Dauerschuldgefühl zermürben. Der Ökoasket schaudert vor dem Gedanken, dass jemand etwa ein Gelage veranstaltet und das Essen, das nicht verbraucht wurde, wegwirft. Gegen solche Dekadenz wetterten schon die Puritaner in ihren Angriffen gegen die Aristokratie, die wusste, wie man kultiviert konsumiert. Dekadenz ist allerdings ein Zeichen von Toleranz und Lebensgenuss. Dekadenz ist das, wovor der Puritaner im Innersten am meisten Angst hat. Das Unkontrollierte, das Nutzlose, die Zeitverschwendung, das Geheimnis, der Esprit, die reine Begierde.
Die Slow-Food-Bewegung zeigt, dass eine ökologische und nachhaltige Lebensweise mit Lebensfreude, Genuss und Entschleunigung vereinbar ist. Sie ist derzeit sicherlich die Bewegung, die einer Idee des guten Lebens am nächsten kommt. Es wird kein übertriebener Aufwand betrieben wie bei manchen Gourmet-Köchen, die sich das Kobe-Rindfleisch aus Tokio einfliegen lassen. Es wird aber auch keine Müsliaskese
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