Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Alternative gestellt, mehr Kitas oder mehr Familienzeit für die Eltern, entscheidet sich der sozial-industrielle Komplex für den Ausbau seines Betreuungsapparats.
Der Sozialstaat trägt zur Lebenszufriedenheit bei.
Am wirkungsvollsten und überzeugendsten war und ist der Sozialstaat dort, wo er tätig wird, weil sich kein Unternehmen für eine wichtige soziale Aufgabe findet: Die Schulpflicht für alle ist so ein Beispiel. Die Eltern konnten sich das Schulgeld nicht leisten, also erfüllte der Staat die Aufgabe, und die Wirtschaft profitiert bis heute von den gut ausgebildeten Berufsanfängern. Auch die Sozialversicherungen sind dort, wo die Kollektivität sinnvoll ist, sehr effizient. 5 Die gesetzliche Arbeitslosenversicherung ist jeder privaten überlegen, weil sie das Risiko bezahlbar auf alle Beschäftigten verteilt, während die Prämie einer privaten Arbeitslosenversicherung gerade für die eigentlichen Problemfälle wie die »55-jährige Ungelernte vom Land« unerschwinglich wäre und diese »Risiken« gar keine Versicherung finden würden. 6 Auch die Umverteilung von oben nach unten trägt grundsätzlich, wie die Glücksforschung zeigt, zur größeren Zufriedenheit der Bürger bei. In der Krankenversicherung wird beispielsweise von den Jungen, den Gesunden und den Gutverdienern zu den Kranken, Älteren und Geringverdienern umverteilt. Das deutsche »kollektivere« System ist dem rein privatwirtschaftlichen System überlegen, es ist preiswerter, sicherer und effektiver, auch wenn es selbst von Perfektion weit entfernt ist.
Aber der Sozialstaat darf es mit der Umverteilung nicht übertreiben und die Leistungsträger überfordern. Einem Gutverdiener tut ein Euro, der ihm abgezogen wird, weniger weh als einem Geringverdiener. Der hat von dem Euro einen höheren »Glücksgewinn«, als der Gutverdiener durch den Abzug an Zufriedenheit verliert. Doch wenn die Steuer- und Abgabenbelastung zu groß wird, weichen die Leistungsträger aus oder arbeiten weniger. Die Balance ist hier sehr wichtig. Jedenfalls sind Länder mit einem hohen Umverteilungsvolumen nicht zufriedener als Länder mit einem geringen. Frankreich wendet knapp 30 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Sozialtransfers auf, während in Estland nur 15 Prozent des BIP in Transfers fließen, die Lebenszufriedenheit beider Länder liegt jedoch beinahe gleichauf. 7
Würden wir auf dem hohen Niveau den Sozialstaat noch weiter ausbauen, hätte das so gut wie keine Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit. Diesen automatischen Zusammenhang gibt es nur in armen Ländern. Als etwa in Angola eine Grundversorgung für die Gesundheit eingeführt wurde, hob sich das Zufriedenheitsniveau deutlich. Das Easterlin-Paradoxon gilt nicht nur für das Einkommen, sondern auch für Sozialtransfers. Erinnern wir uns: Easterlin stellte fest, dass das Pro-Kopf-Einkommen in den Industrieländern über die Jahrzehnte zwar stark anstieg, die Zufriedenheit der Menschen aber weitgehend stagnierte … Dasselbe gilt für die Sozialtransfers. Ihr Volumen hat sich ebenfalls vervielfacht und ist mancherorts sogar stärker gestiegen als das BIP pro Kopf. Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit waren damit ebenfalls nur geringfügig verbunden. 8
Am Ende bezahlt das Sozialamt alles, was zum Normalkonsum gehört, auch Spielkonsolen.
Der Sozialstaat steckt im selben Dilemma wie der Konsumkapitalismus: Beider Glücksverheißung ist verbraucht. Beide produzieren durch Wachstum keine zusätzliche Zufriedenheit, beide haben keine Idee davon, wie das gute Leben aussehen soll und wie sie dazu beitragen könnten. Beide sind immanent auf unendliche Expansion angelegt.
Beide wetteifern sogar darin, wer mehr für Konsum ausgibt: Bei der Wohnungsgröße gibt es zwischen dem Empfänger staatlicher Unterstützung und dem Durchschnittsbürger, der seine Miete aus der eigenen Tasche bezahlen muss, wenig Unterschied. Die Regelsätze zum Arbeitslosengeld II liegen über dem Einkommen der untersten Lohngruppen. Vermieter und Konsumindustrie freut das, zumal die Sozialgerichte und Sozialämter den Konsumstandard den Anzeigenprospekten von Media Markt, Aldi, Ikea oder TUI entnehmen. Einen eigenen Begriff vom guten Leben haben sie nicht. Auf einem finanziell niedrigeren Niveau besteht hier dieselbe Mentalität wie bei den Ökonomen: »Mehr ist besser als weniger« und es kann nie genug sein.
Über viele Jahrzehnte hat der Sozialstaat versucht, »alle sozialen Probleme mit Geld zu lösen«, schreibt
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