Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
ist Brötchengeber einer ebenfalls gigantischen Hilfs- und Sozialindustrie. Aber keiner ist mehr darauf angewiesen, dass die Wirtschaft wächst und die Steuereinnahmen fließen, als der Sozialstaat. Denn von diesem Geld lebt er, und je mehr er davon verteilen kann, desto mächtiger ist er. Der Sozialstaat hat keine eigene Idee vom Glück oder vom guten Leben. Produziert der Markt Spielkonsolen, verteilt der Sozialstaat an bedürftige Kinder Spielkonsolen. Produziert er Mikrowellengeräte, dann teilt er Bezugsscheine für Mikrowellengeräte zu. Das Glück im Sozialstaat ist ein Anteilsschein an der Umverteilung. Es gibt die Illusion, dass der Sozialstaat die Instanz sein könnte, die uns vor der Kraft des Beschleunigungskapitalismus schützt. Aber die einzige Gegenwelt des Sozialstaats sind die Parallelwelten der Fürsorge, und die sind abschreckend, weil die Betreuten zur Passivität entmündigt werden. Ansonsten hilft der Sozialstaat tendenziell bei der Integration in die normale Arbeits- und Konsumwelt. Wenn es darauf ankommt, ziehen Beschleunigungskapitalismus und Sozialstaat an einem Strang. Sie teilen die zentralen Werte Arbeit, Produktion und Konsum.
Ein gutes Beispiel für diese Brüderlichkeit im Geiste ist aktuell der Ausbau der Kitas und Ganztagsschulen. Dass der Geburtenrückgang einmal zu einem Fachkräftemangel führen würde, war lange vorherzusehen. Doch Staat und Wirtschaft schauen seit vierzig Jahren dem Absinken der Geburtenrate tatenlos zu. Nun soll eine flächendeckende Infrastruktur von Kinderkrippen (und Pflegeheimen) garantieren, dass nun wirklich jede Frau und Mutter schnell und vollständig in den Produktionsprozess integriert wird. »Die totale Mobilmachung aller Arbeitskräfte ist auch das Ziel der Arbeitgeberverbände, die mal wieder billige Arbeitskräfte suchen«, schreibt die Wirtschaftswoche 1 treffend. Möglichst als Vollzeitkräfte, obwohl viele Mütter lieber Teilzeit arbeiten würden und es für die persönliche Zufriedenheit auch der Väter besser wäre, wenn beide Elternteile von Vollzeit auf Teilzeit umstiegen. 83 Prozent der Deutschen wünschen sich eine Familie, die viel Zeit miteinander verbringt und gemeinsame Unternehmungen macht, aber nur 28 Prozent können diesen Traum realisieren. 2 Zum Schaden gerade auch der Kinder.
Aber Industrie, Sozialstaat und Politik wollen jetzt die Familie umfassend ökonomisieren. Es geht ihnen ganz unverblümt um mehr Wirtschaftswachstum und höhere Steuereinnahmen. Die Transferleistungen für Familien werden nicht danach bewertet, ob sie das Glück der Kinder heben, sondern nach der Rentabilität für Wirtschaft und Staat: »Über die steigende Erwerbstätigkeit der Mütter und die damit verbundenen zusätzlichen Einnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen fließt ein großer Teil der ursprünglichen Ausgaben (für Betreuungsplätze) wieder an den Staat zurück«, heißt es in der Prognos-Studie für das Bundesfamilienministerium. 3 Investitionen in Ganztagsschulen refinanzieren sich sogar bis zu 99 Prozent selbst. Voraussetzung: Der Staat macht Ganztagsschulen zur Pflicht, und die Kindheit wird verstaatlicht. 4
Das Glück der Familien hebt der Staat damit nachweislich nicht. Alle Umfragen zeigen, dass besonders junge Mütter und Väter weniger arbeiten wollen als bisher. Den Familien wäre mit mehr zeitlicher und finanzieller Autonomie geholfen, damit sie Familie und Beruf so gestalten können, wie sie wollen. Markt und Sozialstaat haben aber andere Interessen: Die Ökonomisierung der Familie erhöht das Bruttoinlandsprodukt, denn was bislang informell erledigt wurde, wird dann über den Markt, also über Geld, profitabel und auch steuerpflichtig. Es steht zu erwarten, dass die Familien sich künftig noch stärker den Bedingungen der Arbeitswelt anpassen müssen.
An solchen Beispielen wird deutlich, dass es mit dem Glücksversprechen des Sozialstaats nicht weit her ist. Dass die Familien mehr Zeit für sich wollen, ist ihm keine Überlegung wert. Die oberste Priorität haben Arbeit und Produktion. Die Lebenszufriedenheit ist keine Kategorie des Sozialstaats. Glück ist, wenn mehr Geld fließt. Und damit mehr Geld fließt, müssen die Menschen arbeiten. Also versteht sich der Sozialstaat als Reparaturbetrieb für den Markt, und er subventioniert mit riesigen Summen Kitas, weil sich ohne Subventionen kaum jemand einen Kitaplatz leisten könnte. Hinzu kommen die Eigeninteressen der Wohlfahrtsindustrie, die noch größer werden will. Vor die
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