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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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Walter Wüllenweber in seinem umfassenden Sozialreport, und er konstatiert: »In Deutschland haben die Armen Geld genug.« 9 Doch mehr Geld löst die Probleme nicht, erst recht nicht mehr Konsum. Die Probleme liegen in der Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen, in desolaten Familienverhältnissen, in Antriebsschwäche, im Ausgeschlossensein. Diese Probleme sind mit mehr Geld nicht zu lösen, sondern nur mit einem Menschenbild des guten Lebens. Dazu gehört ein Bild davon, welche Lebensumstände für ein Kind gut und welche schlecht sind. Psychische Störungen sind heute bei Kindern und Jugendlichen weiter verbreitet als vor dreißig Jahren, was mit den erodierenden Familienstrukturen zu tun hat: die Scheidungsrate steigt, die Halt gebenden Tagesabläufe lösen sich auf, die Institutionen versagen, die Ablenkung durch Fernsehen, Computerspiele, Internet nimmt zu, was sich in ADHS , Schlafstörungen etc. niederschlägt. 10 Jugendliche können sich den großen Trends des Zeitgeists – Beschleunigung, Selbstoptimierung, Effizienzkult – im Alleingang nicht entgegenstemmen, sie benötigen Struktur. Für das Ausmaß, in dem sie heutzutage bereits früh Stress und Belastungen ausgesetzt sind, sind weder ihre Körper noch ihre Seelen geschaffen.
    Auf die Probleme, welche die Beschleunigungsgesellschaft erzeugt, hat der Sozialstaat keine Antwort, er subventioniert teilweise an den Lösungen vorbei. Er repariert in Kliniken, Sucht-Rehas, Sozialstationen und hält das System durch seine Nachfrage am Laufen. Aber er reflektiert die modernen Anpassungszwänge nicht. Was allein Fernsehen, Videospiele und Internet in Kinderzimmern anstellen können, wenn die Familie versagt, das weiß er, aber davor kapituliert er auch. Am Ende des Tages bezahlt das Sozialamt alles, was zum Normalkonsum gehört, auch Spielkonsolen. Alle Studien sagen, das stundenlanges Fernsehen und Computerspielen dumm macht, aber die Sozialämter bezahlen diese Dummmacher, weil sie zum Konsumstandard gehören. Man wird zugeben müssen, dass das nicht sehr logisch ist. Mir ist klar, dass die Lösungen nicht einfach auf der Hand liegen, aber die Diskussion, was ein gutes Leben ausmacht, müsste endlich die Gesellschaft erfassen, denn nur dann können wir die Menschen in die richtige Richtung unterstützen. Nur den Konsum zu finanzieren und die Reha-Klinik, kann’s sicherlich nicht sein.
    Unter dem Beschleunigungstrend leiden schon die Kinder massiv. In den 1970er Jahren war das mittlere Ersterkrankungsalter an einer Depression 25 Jahre, heute liegt es bei 19 Jahren. Auch bei Angststörungen rutschte das Alter etwas, bei Suchterkrankungen sogar deutlich nach vorne. Umso wahrscheinlicher werden lebenslange Entwicklungsdefizite. Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen wächst ohne geregelte Mahlzeiten auf, ihre Ernährung ist zu fett, zu salzig oder überzuckert, die körperlichen Aktivitäten sind stark reduziert. Die Rollensicherheit der Jugendlichen wird durch Scheidungen, durch die rapiden Veränderungen der Berufsfelder und die virtuelle Vielfalt des Internets erschwert. »Wir finden bei Kindern heute ein extrem verringertes Repertoire an Bewältigungsstrategien«, sagt Hans-Ulrich Wittchen, der die größte Untersuchung zur psychischen Gesundheit erstellt hat. 11 Der ständige Erfolgs- und Performancedruck erzeugt schon bei Kindern Ängste und Stress.
    Für ein gelingendes Leben muss man nicht reich sein.
    Würden wir das »Glück« der Kinder zur ersten Priorität machen, dann würden wir die Arbeitswelt nach den Bedürfnissen der Familien ausrichten und nicht umgekehrt. Der Armutsbericht der Bundesregierung illustriert die Misere ganz gut. Ursachenanalysen enthält er nicht. Warum die Zahl der Alleinerziehenden zunimmt, warum manche Stadtviertel verwahrlosen, warum die Analphabetenrate steigt – das ist kein Thema. Er enthält soziologische Sätze wie: »Das Aufwachsen in problematischen Sozialräumen kann bei Jugendlichen zur Identifikation mit den milieuspezifischen Gegebenheiten und subkulturellen Werthaltungen sowie Verhaltensroutinen führen.« 12 Welche »subkulturellen Werthaltungen« den Autoren problematisch erscheinen, wird nicht ausgeführt.
    Der Bericht wird von einer großen Illusion beherrscht: Alles wird gut und sogar die asozialsten »Verhaltensroutinen« verschwinden, wenn noch mehr Geld in das System fließt. An die Ursachen der Probleme wollen sie gar nicht ran. Wenn ein Sozialgericht künftig auch ein Smartphone zum Grundbedarf

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