Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
Ein
männliches Gespenst, eines, das nicht in Irland lebte und nicht verheiratet
war. Mehr wusste sie nicht, und bald wollte sie es auch nicht mehr wissen.
    Ian sagte, sie sei nicht gekränkt wegen dieser Geheimniskrämerei,
aber doch befremdet, weil sie sich einfach keinen Grund vorstellen konnte, aus
dem sich ein Mensch seiner Umwelt so verheimlichen sollte.
    Â»Sag, ich bin der Papst«, schlug Michael vor.
    Â»Hab ich schon«, sagte Ian.
    Â»Und?«
    Â»Sie will keine Audienz.«
    Ian mochte Berlin. Er kam so oft, dass Michael ihm in seiner großen
Wohnung ein eigenes Zimmer einrichtete, mit Schreibtisch, Computer,
Kleiderschrank und Bücherregal. Sie zogen dann durch die Stadt, sahen sich in
der Paris Bar, im Borchardt oder der Ständigen Vertretung die Illustren an und
im Tacheles, im Tränenpalast und an ähnlichen Orten die, die es werden wollten,
genossen die allgegenwärtige Zukunftserwartung, die hier in manchen Gegenden
wie Wind durch die Straßen und über die Plätze wehte, und pflegten eine Art von
Freundschaft, wie sie unter Männern nicht selten ist, nämlich ohne einander je
eine persönliche Frage zu stellen.
    Manchmal reisten sie, wenn Ian geschäftlich irgendwohin musste und
Michael sich ihm zum Vergnügen einfach anschloss. Auf diese Weise kam Michael
in den Genuss von Aufenthalten in Hotels wie Waldorf Astoria, Hassler oder
George V . Irgendwelchen VIP -Ereignissen,
an denen Ian manchmal teilnahm, verweigerte sich Michael aber konsequent – ein
Dinner mit Bono interessierte ihn ebenso wenig wie eine Pressereise mit Bob
Geldof oder Angelina Jolie. Er wollte nicht zu den Auserwählten gehören,
sondern Publikum bleiben. Zumindest sich zwischen dem Publikum bewegen, den
wirklichen Menschen, die eine Arbeit hatten, einen Chef, einen überzogenen
Dispokredit und Existenzängste, die sich Kinder wünschten und auf den Urlaub
freuten, auf ein Haus oder eine Wohnung sparten und abends müde waren, weil
ihnen jemand jeden Tag die Kraft abkaufte – er wollte sie belauschen, ihre
Gedanken lesen und ihre Freuden mitansehen, denn daraus war der Stoff, den er
vertonte. Über einen Challenger-Jet oder ein Anwesen in den Hollywood Hills
würde er nicht schreiben. Darin lag keine Poesie. Zumindest keine, die sich mit
irischen Geigen und Flöten hätte instrumentieren lassen.
    In den deprimierten Phasen, die Michael immer wieder anfielen und in
denen er sich leblos, leer und wie von Schlick umgeben fühlte, verließ er die
Wohnung nur, um einzukaufen, sah sich amerikanische Serien im Fernsehen an und
hoffte, Ian möge bald wieder auftauchen und die alles verklebende Lähmung
vertreiben. In diesen Phasen wurde Michael für sich selbst so vage und
konturlos, wie er es für andere schon seit Jahren war, und es kam vor, dass er
von sich aus Ian anrief, um ihn zu irgendeiner Reise zu überreden, auf der er
sich für eine Weile selbst entgehen und die Rückkehr nach Berlin für eine
Heimkehr in die eigene Seele halten konnte.
    Auf einer dieser Reisen waren sie auch nach Venedig gekommen. Ian
traf sich mit einem australischen Musikverleger, der hier mit seiner Jacht vor
Anker lag, und Michael verirrte sich in den Gassen und wusste, dies war der
Ort, an dem er leben musste. So halbreal, aus der Zeit gefallen, prekär und
unvergleichlich, hier und nur hier wäre er am richtigen Platz. Nur hier war es
selbstverständlich, so fremd zu sein, wie Michael überall auf der Welt war.
    Als er Ian am Abend vor dem Quadri seinen Plan eröffnete, sagte der
nur: »Ich hab das passende Haus für dich.«
    ~
    Bernd kam als Erster durch die Tür. Er zog einen kleinen
Rollkoffer aus Metall hinter sich her und war ganz in Schwarz: Jeans, T-Shirt
und eine leichte Jacke, die eher wie ein Hemd aussah. So wirkte er noch magerer
als bei der Beerdigung, sah aber (vielleicht wegen der ebenfalls schwarzen
Turnschuhe) zehn Jahre jünger aus.
    Thomas, der direkt hinter ihm herausgeschlendert kam, hätte dagegen
fast sein Vater sein können. Sandfarbenes Jackett, graues Polohemd und olivgrüne
Hosen, die weich und weit um seine Beine schwangen. Er trug eine lederne
Reisetasche, im selben Farbton wie seine Schuhe und (wie Michael allerdings
erst später sah) das Uhrarmband.
    Michael winkte. Die beiden sahen ihn und kamen ihm entgegen. Sie
deuteten alle drei eine Art Umarmung an, die allerdings ein wenig angestrengt
wirkte.
    Â»Raus

Weitere Kostenlose Bücher