Vier Arten, die Liebe zu vergessen
dann du? Ein Deutscher, der sich immer schön
diszipliniert und stocksteif an die Regeln hält?«
»Touché.«
»Das wär jetzt das Franzosenklischee.«
»Oder das englische: Fairplay.«
Nachdem sie Ians Reisetasche in eines der Gästezimmer gestellt
hatten, gingen sie wie immer los, um die Antiquitätenläden zu durchstöbern. Ian
war ein leidenschaftlicher Sammler und hatte hier schon Schätze gefunden, von
denen er behauptete, in Brüssel, Paris, Wien oder London käme man an so etwas
nicht mehr heran.
Er hatte auch eine Theorie, weshalb das so sein könnte: Hier in
Venedig seien die Einwohner so alt, dass immer wieder frische Kostbarkeiten auf
den Markt kämen, weil gestorbene Besitzer sie hinterlieÃen und die Erben
entweder die Wohnung an Feriengäste vermieten oder sich selbst moderner
einrichten wollten.
»Apropos Gefühlsregung«, fragte Michael abends, als sie in Castello
in einer Trattoria saÃen, die Ian besonders mochte. Er tat so, als hätten sie
das Gespräch auf dem Boot nicht vor Stunden geführt, und Ian wusste sofort, was
gemeint war.
»Es geht mir einfach sehr gut dieser Tage.«
»Sagst du mir, weshalb?«
»Nicht jetzt«, antwortete Ian, »es ist noch ⦠letâs call it privacy
control, okay?«
»Kein Problem«, sagte Michael, »ich freu mich auch so mit.«
»Ja, so bist du. Thatâs what I love you for. Unter anderem.«
»Und das wäre? Das andere, meine ich.«
»Du hast mir ein Leben gegeben.«
»Ein Leben?«
»Ja. Das vorher in der Kanzlei war keines und wäre auch nie eines
geworden. Es war kurz vor Gemüse.«
»Auf das Leben.« Michael hob sein Glas und stieà es an Ians.
»Und die, die es mit uns teilen«, ergänzte Ian.
Das klang zwar wie ein Allgemeinplatz, aber es klang auch konkret,
und Ian konnte ja Michael damit gemeint haben, vielleicht auch Erin und ihre
Band, aber Michael glaubte, einen Hinweis auf Liebesglück herauszuhören, und
freute sich für Ian. Er hatte nie etwas von einer Frau in Ians Leben gesehen
oder gehört und sich schon gefragt, ob er nicht zufällig damals in Dublin eine
Art Zwilling aufgestöbert hatte, einen Hagestolz, der es nur alleine aushielt
und wie Michael hinter all der scheinbaren Unkompliziertheit seines Wesens in
Deckung gegangen war, um nur ja von niemandem als bindungsunfähiger
Einzelgänger erkannt zu werden.
Ian betrank sich seit damals in Dublin nicht mehr in Michaels
Gegenwart. Er langte zwar kräftig zu, aber büÃte dabei weder seine Manieren
noch seine Sprachfähigkeit oder die Kontrolle über seine GliedmaÃen ein. So
irisch rabaukenhaft, wie er manchmal daherredete, so britisch gentlemanlike
verhielt er sich in jeder Situation.
Es war schade, dass sich Serafina und Ian nie kennengelernt hatten.
Michael hatte das Gefühl, die beiden müssten einander blendend verstehen und
ganz gewiss gern haben, aber Ian kam immer an Wochenenden, und dann war
Serafina die brave Ehefrau des Managers und eine allenfalls mal höflich aus dem
Nebenhaus herüberwinkende Nachbarin. Nicht die Freundin, mit der man hätte
Pferde stehlen können.
Einen Vorteil hatte es aber auch, dass die beiden einander nie über
den Weg gelaufen waren: Die Legende vom reichen englischen Hausbesitzer flog
nicht auf, und er musste Ian nicht in seine Lügengeschichte einweihen.
Dummerweise hatte er ihn nämlich einmal gedankenlos als den ominösen
Hauseigentümer hingestellt und müsste ihm deshalb die Scharade erklären. Und
womöglich auch noch, wieso er log.
Darauf hätte er keine Antwort gewusst. Er wollte nicht, dass
Menschen, mit denen er zu tun hatte, von seinem Wohlstand wussten, er wollte
nicht, dass sie seinen Beruf kannten, er wollte sich selbst geheim halten, ohne
so recht zu wissen, weshalb.
Vielleicht wusste er es auch und gestand es sich nur nicht ein.
Seine Gedankenleserei, die natürlich nur Phantasie war, lieà ihn Reaktionen
voraussehen, die er einfach nicht auf sich ziehen wollte: Der kann sichâs
leisten, so selbstbewusst aufzutreten, er hat ja Kohle ohne Ende; der hat
ausgesorgt, den halte ich mir warm; der bildet sich was ein auf seine berühmte
Sängerin; der muss nicht arbeiten wie unsereins, der ist ein Schmarotzer â
Michael ahnte, dass es ihm nicht egal sein würde, wie andere ihn sahen, deshalb
sollten sie ihn lieber überhaupt
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