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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Ausnahmefrau«, sagte Thomas.
    Â»Nur wir haben’s nicht so gemerkt«, sagte Wagner, »wir waren zu
jung.«
    Â»Sie wär’s wert gewesen, dass man Rotz und Wasser heult an ihrem
Grab«, sagte Bernd nachdenklich und schob sich den Mittelfinger seitlich in den
Mund, als wolle er am Nagel kauen, »aber das letzte Mal, dass ich geheult habe,
war, als mein Vater mich mit dem Stock verprügelt hat. Da war ich zwölf.«
    Â»Solltest du wieder lernen«, sagte Wagner, »tut gut.«
    Â»Ich hab euch das nicht erzählt«, sagte Michael und sah dabei aus
dem Fenster, »Erin hat an Emmis Grab auch The parting glass gesungen. Als ich
das hörte, hab ich geheult. Für euch drei gleich mit.«
    Â»Danke«, sagte Thomas.
    Â»Erin? Ist das ihr richtiger Name?«, fragte Bernd.
    Â»Ja«, sagte Michael und wandte den Blick vom Fenster ab und den
anderen wieder zu, »es war unglaublich. Ich hätte mir gewünscht, wir würden zu
fünft singen in dem Moment.«
    Â»Wär ich dabei«, sagte Wagner.
    Â»Ja«, sagte Thomas.
    Bernd schwieg. Und nahm den Finger aus dem Mund. Allerdings nur, um
jetzt den der anderen Hand in den anderen Mundwinkel zu schieben. Er kaute
tatsächlich daran herum.
    Â»Kaust du Nägel?«, fragte Wagner.
    Â»Nicht wirklich«, sagte Bernd, »sieht nur so aus.«
    Â»Täuschend ähnlich«, fand Thomas.
    Â»Privatsache«, sagte Bernd mit einem leichten Grinsen und nahm den
Finger heraus.
    ~
    Wagner ging duschen, denn er war tatsächlich gelaufen, die
Strecke über Zattere bis zur Dogana, dann auf der anderen Seite bis Salute und
wieder zurück nach Zattere – nicht lang genug, wie er sagte, aber besser als
nichts. Die Blumen musste er von einem der Schiffe bei San Barnaba haben, denn
am Ende seines Laufs war er zu früh rechts abgebogen, hatte sich verirrt und
schließlich den Stadtplan gebraucht, um wieder nach Hause zu finden.
    Bernd ging nach oben ins Studio, um sich an den Computer zu setzen
und ein Dokument auszudrucken, das ihm sein Büro gemailt hatte, und Thomas
blieb bei Michael in der Küche, um ihm bei der Vorbereitung des Abendessens zu
helfen.
    Während Thomas den Salat wusch, schnitt Michael Gemüse in Stücke und
Kartoffeln in Hälften, präparierte drei Bleche mit Backpapier und legte alles
in strengen Reihen darauf.
    Â»Kochst du?«, fragte Michael.
    Â»Selten, aber wenn, dann mit Stil«, antwortete Thomas.
    Â»Dann kannst du die Steaks braten. Ich weiß nicht mehr, wie das
geht.«
    Â»In die Pfanne legen und später wieder aus der Pfanne rausnehmen, so
geht das.«
    Â»Mach du. Ich fass das nicht gern an.«
    Â»Sag mal, dein Satz vorher – ich lebe zurückgezogen –, das klang mir
ziemlich konnotationsreich.«
    Â»Und was konnotierst du?«
    Â»Dass du einsam sein könntest, vielleicht?«
    Michael war verblüfft über die Direktheit dieser Frage, das hätte er
von Thomas nicht erwartet, und er antwortete erst nach einem Augenblick des
Nachdenkens: »Immer wenn jemand stirbt, merkt man, dass es nicht so viele sind,
mit denen man wirklich lebt. Die einem wichtig sind und für die man selber
wichtig ist. An Emmis Grab ist mir aufgefallen, dass sie mir fehlen wird. Das
wusste ich bis dahin nicht. Ich habe den Kontakt einfach abreißen lassen und
erst, als es zu spät war, kapiert, dass ich mich irgendwie immer auf Emmi
verlassen habe. Vielleicht war sie so was wie ein Ersatz für meine Mutter. Auf
einmal hatte ich das Gefühl, jetzt bläst mir ein Wind ins Gesicht, der vorher
nicht da war.«
    Â»Leben deine Eltern noch?«
    Â»Meine Mutter ist gestorben, als ich elf war. Mein Vater lebt mit
seiner zweiten Frau am Chiemsee.«
    Â»Hast du Kontakt? Redet ihr miteinander?«
    Â»Wir tun so. Aber da ist nichts. Eine Postkarte zu Weihnachten, ein
Anruf mit lauter Floskeln zum Geburtstag. Gesehen haben wir uns sechzehn Jahre
nicht.«
    Â»Meinst du, wenn er stirbt, spürst du auch diesen Wind?«
    Â»Ganz sicher nicht.«
    Eine Zeit lang redeten sie nichts, aber als ihnen die Handgriffe
ausgingen und nichts mehr zu tun war, außer aufs Eintrudeln der anderen zu
warten, und sie beide gleichzeitig nach den Streichhölzern auf dem Tisch
griffen, um sich eine Zigarre und Zigarette anzuzünden, da fragte Michael:
»Deine Tochter, was macht sie?«
    Â»Bühnenbild. Sie war schon an den Kammerspielen, dann in

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