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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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nicht sehen. Eine Art Milchglasscheibe
zwischen den Menschen und ihm sollte ihn vor Reflexen beschützen, die er für
unausweichlich hielt.
    Er wollte sich nicht mit wohlhabenden oder gar reichen Leuten
umgeben – er hätte das Gefühl, sich selbst zu verraten –, gegen Freundschaften
mit normalen Menschen, Gehaltsempfängern oder prekären Existenzen sprachen die
Reaktionen, die er voraussah, also lief es eben zwangsläufig auf gar keine Freundschaften
hinaus. Außer zu Ian. Der war der Einzige, der wusste, wie es um Michael stand,
was er tat, und dass das niemand wissen sollte.
    Später am Abend gingen sie durch den Park und über das Gelände der
Biennale. Sie versuchten, sich an Seems so long ago, Nancy zu erinnern, aber sie scheiterten am letzten Vers, und die Zeile: We told her she was beautiful, we told her she was free, but none
of us would meet her in the house of mystery tauchte ein zweites Mal auf
und ließ sich nicht mehr verdrängen. Erst zu Hause mit dem neuen iPod konnten
sie die Gedächtnislücke füllen, und sie sangen erleichtert die richtige Zeile: In the hollow of the night, when you are cold and numb, you hear
her talking freely then, she’s happy that you come.
    ~
    Â»Du siehst aus wie Jeanne Moreau«, sagte Bernd zu Thomas,
der am Herd stand und die Steaks briet, die Zigarre in der einen Hand, eine
Gabel in der anderen, während Michael das Gemüse auf einer Platte anrichtete,
salzte, mit Öl und Essig beträufelte und dann eine Sauce für die Kartoffeln
anrührte.
    Â»Das klingt nicht ganz zwingend nach Kompliment, oder?«, sagte
Thomas. »Yves Montand oder Jean Gabin oder Lino Ventura wären mir lieber.«
    Â»Die stehen nicht am Herd.«
    Â»Aber Moreau raucht keine Montechristo.«
    Â»Riechen tut’s schon mal gut«, sagte Wagner und blähte die Nüstern.
    Â»Okay, fertig.« Thomas legte seine Zigarre in den Aschenbecher und
nahm die Pfanne vom Herd. »Jeder eins und ich zwei.« Er praktizierte die Steaks
auf drei Teller – natürlich nahm er sich kein zweites, sondern ließ das
überzählige in der Pfanne, die er auf den Herd zurückstellte.
    Michael stellte die Platten mit Kartoffeln und Gemüse zu der
riesigen Salatschüssel auf den Tisch und holte noch Salz, Öl und Essig von der
Küchentheke, dann schenkte er Wein ein – diesmal war es ein Amarone –, alle
setzten sich, bedienten sich, schütteten mehr oder weniger geübt Öl und Essig
über den Salat auf ihren Tellern und begannen unter gemurmelten oder auch nur
gegrunzten Beifallslauten zu essen.
    Â»Bist ein guter Koch«, brummte Wagner und strich sich eine Strähne
seines langen Haars hinters Ohr.
    Michael machte eine Gebärde, die auf ihn und Thomas deutete, er
wedelte mit Daumen und Zeigefinger zwischen ihnen beiden hin und her, und
Wagner korrigierte: »Ihr seid ein guter Koch.«
    Â»Was zeigst du uns morgen?«, fragte Thomas nach einer Weile, in der
sie schweigend und mit Genuss gegessen hatten.
    Â»Eine kleine Kirche, Santa Maria dei Miracoli, die vollständig mit
Marmorplatten verkleidet ist. Innen und außen. Sie ist so pur und so klar, dass
man an japanisches Design denken könnte, und eine ähnlich große und
beeindruckende wie Giovanni e Paolo, auch voller Dogengräber und auch mit einem
herausragenden Bellini-Bild, Santa Maria Gloriosa dei Frari. Dann könnten wir,
wenn ihr Lust habt, mal die ganze Insel mit dem Boot umrunden oder den Canal
Grande abfahren oder …«
    Wagner unterbrach ihn: »Mir wär zu Fuß gehen lieber.«
    Â»Geht auch«, sagte Michael und überlegte sich, ob Wagner den Preis
fürs Vaporetto sparen wollte oder vorhatte, wieder hinterherzutrödeln wie ein
gelangweilter Teenager.
    Â»Das ist aber auch ein Tröpfchen«, sagte
Thomas und hielt fordernd sein leeres Glas in die Höhe.
    Â»Falls ihr Lust auf Malerei habt, sind in der Accademia und in Ca
Pesaro phantastische Sammlungen«, sagte Michael, »aber das könnten wir auch
später machen, falls ihr einfach nur spazieren gehen wollt. Schön ist es
überall. Sattsehen geht sowieso nicht.«
    Â»Palladio?«, fragte Bernd.
    Â»Il Redentore und Barbarano auf Giudecca und San Giorgio Maggiore
auf der Insel daneben«, sagte Michael, »ein Katzensprung von hier. Und es gibt
noch eine, die nach seinen Plänen, aber nicht von ihm selbst gebaut

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