Vier auf dem Laufsteg
Tokio zurückgekehrt und fläzte sich nun auf dem Sofa. Laura musste sich noch mit der Monatskarte für die U-Bahn begnügen, während Irina nach Japan fliegen durfte. Hier lief doch irgendwas ganz und gar falsch.
Laura wartete darauf, dass Irina irgendwas von ihrer Reise erzählte. Oder überhaupt etwas sagen würde, aber Irina starrte nur reglos auf den Fernseher. Das war schon fast unheimlich.
»Na, wie war’s in Japan?«, fragte Laura schließlich und ließ sich mit einem Snickers in der Hand neben Irina auf das Sofa plumpsen. Sie brauchte jetzt einen Trosthappen, und bisher war die Waffe noch nicht erfunden worden, mit der man sie von ihrer Schokolade fernhalten konnte.
»Japanisch«, murmelte Irina und beugte sich weiter nach vorn, um auch nicht eine Sekunde davon zu verpassen, wie Derek Acorah als Geisterjäger nach verräterischen Spuren von Ektoplasma suchte. »Ässen war äklig, Tee war grün.«
Laura hatte nur die Wahl zwischen ihrem Wohnschrank und Irina. Immerhin schien die ein paar neue Wörter gelernt zu haben.
»Du warst länger als eine Woche weg, oder? Ich hatte gedacht, du kämst schon Sonntagabend wieder.«
Irina seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust, als dämmerte ihr, dass Laura ganz offensichtlich ein Gespräch führen wollte.
»War gebucht für japanische Vogue und dann noch eine Modenschau. Na, du weißt ja, wie gäht.«
»Aber du hast doch bis jetzt noch nie eine Modenschau gemacht!« Laura konnte sich den leicht empörten Ton einfach nicht verkneifen, obwohl es eigentlich ziemlich krass war, dass Irina trotz ihres Außerirdischen-Looks massenhaft Jobs bekam, während sie selbst nur zwei Jobs gehabt hatte und dafür elf andere Mädchen aus dem Feld schlagen musste.
Echt krass.
»Du läufst doch nur auf, ab, auf, ab, als würde dir der Arsch brännen.« Irina kicherte über ihren eigenen Witz. »Is nicht schwär.«
Laura hatte acht Wochen gebraucht, bis sie in mickrigen Sechs-Zentimeter-Absätzen ohne zu stolpern einen Laufsteg entlangstaksen konnte.
»Also, ich hatte heute mein Cover-Shooting für Skirt .«
»Ach ja?« Irina nahm die Fernbedienung und stellte den Ton lauter.
»Es war grauenhaft. Der Fotograf war ein sexistisches Arschloch, der die ganze Zeit rumnervte, wie fett ich wäre, und nach dem Shooting hat er versucht, mich anzubaggern nach dem Motto: ›Wenn du nett zu mir bist, bin ich auch nett zu dir, denn stell dir vor, ich arbeite für die russische Vogue ‹«, ereiferte sie sich. »Die Klamotten waren einfach ätzend, und ich musste meinen Busen mit Klebeband flach kleben, was megapeinlich war, und -«
»Gerry...«, grunzte Irina. »Meinst du Gerry?«
»Woher kennst du denn Gerry?«, fragte Laura ungläubig.
»Ich war doch in Moskau auf ein Vorlauftärmin...«
»Du meinst einen Vorstelltermin...«
»Egal. Gerry war so lustig.« Irina wurde fast redselig. »Wir rauchen Joint und dann er bucht mich für drei Shootings.«
Laura warf ihr einen wütenden Blick zu, weil sie dachte, Irina würde sich über sie lustig machen.
»Das ist doch ein Scherz, oder?«
»Gerry«, wiederholte Irina nachdrücklich. »Jetzt halt Klappe.«
»Aber hat er dich nicht angemacht? Was hast du denn machen müssen, damit er dich gebucht hat? Oh Gott, Irina, du hast doch nicht... also ich meine, nicht wirklich ?«
Irina verzog das Gesicht zu dem anderen Ausdruck der insgesamt zwei, die ihr zur Verfügung standen, und grinste süffisant. »Was dänkst du dänn?«
Alles, was Laura noch zustande brachte, waren ein Ächzen und ein schmerzlich verzerrtes Gesicht.
»Niemals!«
»Njet« , bekräftigte Irina. »Er versucht, aber ich sage, värpiss dich, dann alles cool. Dann hatte Räspekt, weißt du.«
Zum ungefähr hunderttausendsten Mal an diesem Tag glühte Lauras Gesicht vor Scham.
»Tut mir leid. Natürlich hast du nicht mit ihm rumgemacht«, versuchte Laura zu retten, was zu retten war. »So hab ich das ja auch nicht gemeint.«
Laura schwieg kurz, während aus dem Fernseher ein schriller Schrei ertönte und etwas Geisterhaftes über den Bildschirm sauste.
»Und hast du ?«
»Äh, was hab ich?«, murmelte Laura, jetzt völlig in den Film vertieft.
»Mit ihm gepoppt?«
»Niemals!« In nur einer Sekunde verwandelte sich Lauras Abgelenktheit in Zorn, bevor sie die Schultern wieder hängen ließ. »Aber irgendwie hat er heute seine Hand pausenlos auf meinem Hintern gehabt.«
Und da kroch der Ekel auch schon wieder in ihr hoch. Schnell ging sie ins Bad und wusch
Weitere Kostenlose Bücher