Vier auf dem Laufsteg
jeden Zentimeter ihres Körpers, von dem sie das Gefühl hatte, dass Gerry ihn angefasst, angegafft oder auch nur darüber geredet hatte.
»Nächste Mal tritt ihn in Eier«, war Irinas Ratschlag, und dann streckte sie ihre Beine über das gesamte Sofa aus, sodass Laura sich nicht wieder zu ihr setzen konnte. »Immer. Und koch mir jätzt Tee, wenn du stähst.«
6
W enn Laura früher von ihrer glamourösen Karriere als internationales Topmodel geträumt hatte, waren einige Szenen immer wiedergekehrt. Zum Beispiel die: Der berühmte Modedesigner sieht sie auf einer Party in einem überfüllten New Yorker Loft und sagt auf der Stelle, nur sie könne seine Muse sein, seine Inspiration. Er benennt sogar eine Handtasche nach ihr. Diese himmlische Fantasie hatte sie über mehr als eine langweilige Geschichtsstunde hinweggetröstet.
Dann gab es noch den Traum von einem Wissenschaftler - einem äußerst gut aussehenden Wissenschaftler -, der während einer Modenschau ihren Gang analysiert und zu dem Schluss kommt, dass sie als einziges Model in der gesamten Modewelt einen 167-Grad-Hüftschwung hat. Und dass sie daraufhin ihre Hüften für zehn Millionen Pfund versichern lassen muss.
Ihr Leben wäre eine endlose, prickelnde Aneinanderreihung von Partys und Champagner und Bewunderung, und ab und zu würde sie auch mal vor der Kamera posieren, um ihre zahlreichen Penthouse-Wohnungen abzahlen zu können.
Aber die Realität sah anders aus.
Total anders.
Zum einen hatte noch keine einzige Party stattgefunden, zumindest keine, zu der sie eingeladen worden wäre. Candy schien ihren Tagesablauf auf die Eröffnungen von Clubs, Fotoausstellungen und Handy-Präsentationen abzustimmen, zu denen sie fast jeden Abend abschwirrte.
Holly war zusammen mit ihrem Freund auf sämtlichen Party-Gästelisten. George, auch ein früherer Kinderstar und Gaststar in »Hollys Haus«, spielte jetzt in einer lahmen Sitcom mit, in der es um einen ehemaligen Kinderstar ging, der nach England abgehauen war, um dort seine Karriere wieder anzukurbeln. Klang verdächtig nach dem wahren Leben.
Und sogar Irina - wenn sie nicht gerade an der Fernbedienung und einer Riesentüte Chips klebte - war permanent auf Achse mit ihren ebenfalls steingesichtigen slawischen Freundinnen, immer unterwegs von einer Modeparty zur anderen in ziemlich finsteren Ecken von Ost-London, von denen Laura dann am nächsten Tag von anderen Models bei Vorstellterminen hörte.
Ach ja, und überhaupt: Vorstelltermine, die sogenannten Go-Sees - die hatten bei ihren »Mein Leben als Supermodel«-Dokushows mit Laura Parker in der Hauptrolle überhaupt nicht stattgefunden. Jetzt waren Vorstelltermine, oder Verpissdichtermine, wie sie sie umbenannt hatte, ihre einzige tägliche Beschäftigung.
Wenn sie lange genug darüber nachdachte, hatten Go-Sees auch ihre positiven Seiten. Zum Beispiel hatte Laura das Geheimnis des Londoner U-Bahn-Systems geknackt und nutzte es jetzt fast blind. Und diese ganze Rumlatscherei hatte sicher auch eine Menge Fett verbrannt, obwohl sie zweifellos den lahmsten Stoffwechsel der Welt hatte.
Aber dann gab es da auch den anderen Aspekt der Vorstelltermine, den miesen, hoffnungslosen, verzweifelten »Ich schlitz mir die Pulsadern auf«-Aspekt. Nach einer schweißtreibenden, endlosen U-Bahn-Fahrt quer durch die Stadt zu einem popeligen kleinen Studio - garantiert immer mindestens im dritten Stockwerk, natürlich ohne Fahrstuhl - traf Laura dann auf eine Horde Mädchen, die sich alle untereinander kannten.
»Wollen wir uns treffen, wenn wir beide das nächste Mal in Paris sind?« oder »Mein Agent weigert sich, mich für weniger als fünfhundert Pfund am Tag arbeiten zu lassen« waren noch die normalsten Sprüche, während alle im Flur an der Wand lehnten und warteten.
Irgendwann war sie dann an der Reihe, wurde hineingerufen zu einem Kaugummi kauenden Fotografen/Designer/ Redakteur/sonstigen Modefuzzi, der ihre Mappe in atemberaubender Geschwindigkeit durchblätterte, um dann »Danke« zu grunzen. Manchmal wurde Laura sogar gefragt, ob sie nicht eben mal ihre High Heels anziehen und durchs Zimmer laufen könnte. Und all das führte zu nichts, auf jeden Fall nie zu einem Job.
Am schlimmsten war aber - wobei schlimm ein relativer Begriff war -, wenn sie sich noch nicht mal die Mappe ansahen, sondern Laura nur kurz von oben bis unten musterten und sagten: »Du bist doch die, die Supermodel gewonnen hat, weil sie Noel Ripley gegenüber eine dicke Lippe riskiert
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