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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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und immer weiter in Schlangenlinien, von einer Straßenseite zur anderen.
    »Halt dich fest!« rief Lena, und ich presste meine Hände auf ihre Hüften und schmiegte mich an sie. Sie folgte Maiks Schlingerkurs, und ich legte mich mit ihr nach rechts und links, Freude überrollte mich, und ich wollte lachen, wie es Kleinkinder taten, die man hochwarf und auffing. Ich wollte Lena küssen, einfach so, aber ich war zu feige und trug außerdem einen Helm.
    Wir schmetterten die Marseillaise, gemeinsam und durcheinander, mit Text oder gegröltem Lalala.
    »Allons enfants de la Patrie, le jour de gloire est arrivé!«
    Der Tag des Ruhmes ist gekommen.
    Nein, kein Ruhm , dachte ich, aber es war ein gutes Lied, um in den Kampf zu ziehen, und das traf es irgendwie, auch wenn wir nicht wirklich kämpften.
    Und dann waren wir drüben.
    Die Landschaft hatte sich nicht geändert, aber wir hatten eine unsichtbare Linie überquert.
    Wer wollte, konnte sofort wieder hinüber, und doch war es, als hätten wir einen riesigen Schritt getan. Ich fühlte mich seltsam frei.
    »Pour qui ces ignobles entraves, ces fers dès longtemps préparés?«
    Für wen diese schändlichen Fesseln?
    »Lalala …«
    Nun würde uns auf dem Weg ans Meer nichts mehr halten. Wir hatten das Daheim endgültig hinter uns gelassen, hier würde uns niemand suchen.
    Lenas Parfum war inzwischen ganz verflogen, ich roch nur noch Straße und die Abgase aus Maiks Karre, den Duft von all den am Rand angebauten Pflanzen und auch den Gestank aus irgendeiner Geflügelzucht und von Dung. Ich ließ das Visier offen, ich wollte alles in mich aufsaugen.
    Mit den Fingerspitzen spürte ich Lena unter ihrem Top atmen, ihre Muskeln, wenn sie sich in die Kurve legte, selbst wenn sie Gas gab oder bremste. Jede Anspannung spürte ich. Wie zufällig ließ ich meine Hände zu ihren Beinen hinunterwandern, langsam, vielleicht einen winzigen Zentimeter für jeden Kilometer, den wir zurücklegten. Mehr traute ich mich nicht.
    »Vive la France!« Lena lachte. Sie sagte nicht, ich solle die Hände wieder hochnehmen. Hätte sie was gesagt, hätte ich mich taub gestellt.
    Und wieder einen Zentimeter näher zu ihren Beinen hinab. Ich wusste, dass ich sie nicht dort berühren konnte, wohin es meine Hände drängte, nicht unauffällig, wie aus Versehen, aber ich konnte nicht anders. Ich hatte nur Angst, einen Steifen zu bekommen, den sie durch den dünnen Stoff spüren würde.
    Denk an was anderes , befahl ich mir und schaute mir die Dörfer an, durch die wir fuhren, und die Wälder. Ich freute mich über die ungewohnt gelben Nummernschilder und wettete innerlich bei jedem, ob die Zahl des nächsten größer wäre oder kleiner. Ich freute mich über die weißen Ortsschilder und jeden französischen Begriff, den ich lesen konnte und verstand. Meine Hände bewegte ich nicht mehr.
    Im Frühjahr, bevor Christoph mit Selina zusammenkam und nachdem Eva mich nach vier Monaten verlassen hatte, setzte sich Christoph im JUZ zu Knolle und mir.
    »Mann, die Eva ist dicht.«
    »Was juckt mich das?«, fragte ich.
    »Die hat oben gerade meine Hand gepackt und auf ihre Brust gedrückt und mir die Zunge in den Mund gesteckt.«
    »Geil«, sagte Knolle.
    »Was?«, rief ich.
    »Was juckt dich das?«, fragte Knolle.
    »Halt’s Maul!«
    Knolle lachte.
    »Und was hast du gemacht?«, fragte ich.
    »Sie sitzenlassen, was denn sonst? Sie ist deine Ex, das tut man nicht. Nicht mit der Ex von Freunden.«
    Ich fühlte mich erleichtert. Eva war die Erste und bisher Einzige, mit der ich richtig geschlafen hatte, die Einzige, mit der ich länger zusammen gewesen war. Ich wollte sie nicht an Christophs Seite sehen.
    »Was ist denn das für eine alberne Regel?«, fragte Knolle.
    »Du findest doch alle Regeln albern.«
    Knolle lachte und trank. »Du meinst, jede Frau, mit der ich im Bett war, ist für euch tabu? Die Liste wird lang.«
    »In deinen Träumen, ja.« Christoph grinste. »One-Night-Stands gelten nicht, nur richtige Freundinnen. Kein Mädchen soll unsere Freundschaft zerstören.«
    »Und wenn sich zwei gleichzeitig in eine verknallen?«
    »Dann entscheidet die Zeit. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.«
    Lachend hob Knolle seine Flasche. »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!«
    Wir stießen an. Und so dämlich die Formulierung in Bezug auf Mädchen war, wir hielten uns daran, auch wenn Knolle im Folgenden sehr oft lachend »Ich war zuerst!« schrie, sobald Christoph oder ich ein hübsches Mädchen auch nur ansprechen wollten.

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