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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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dann bräuchte ich nächstes Mal nicht mitzukommen. Da habe ich geschossen. Ich hab nicht richtig getroffen, und er hat am Boden gezetert und mit einem Flügel gezuckt und weiter gezetert. Ich konnte nicht noch mal schießen, obwohl das sein Leiden beendet hätte. Schorre hat gelacht und ist hingelaufen, um dem armen Kerl beim Sterben zuzusehen. Ich konnte das nicht und bin heimgerannt.«
    Ich sagte nichts. Am Himmel jagten Vögel umher, ich konnte nicht erkennen, ob es Spatzen waren.
    »Eigentlich hätte ich dazugehören können, ich hatte geschossen und getroffen, das getan, was sie mir nicht zugetraut hatten. Und dann bin ich am Zuschauen gescheitert, was doch viel einfacher sein sollte, weil man ja nichts tun muss. Ich konnte trotzdem nicht, hab das arme Tier also völlig umsonst getötet.« Er sammelte Speichel und spuckte hinab. »Das würde ich heute nicht mehr machen. Heute würde ich auch nicht mehr zu Schorre und den anderen gehören wollen.«
    Ich schnaubte zustimmend, obwohl ich diesen Schorre überhaupt nicht kannte.
    »Hast du schon mal auf Tiere geschossen?«, fragte Maik.
    »Nein. Ich hab früher nur Insekten gefangen und in große Gläser gesperrt, immer zwei in eines. Kreuzspinne und Weberknecht, Käfer und Stechmücke, Wespe und Spinne. Ich wollte schauen, wie sie kämpfen und wer gewinnt. Weil ich dachte, dass ein Weberknecht allein keine Chance hat, habe ich drei zu einer Kreuzspinne gesperrt, aber die haben sich nicht verbündet, und am nächsten Morgen hat nur noch die Spinne gelebt.«
    Maik lachte und schlug mir auf die Schulter.
    Und dann sprachen wir über Belanglosigkeiten, und darüber, wer von uns Französisch sprach und wer schon mal in Frankreich gewesen war. Ich hatte es in der Elften abgewählt und davor mit Mühe eine Drei geschafft. Er war mit seinen Eltern in Paris gewesen und verstand bon jour und adieu und zwei wirklich derbe Schimpfwörter, weil er eine Weile mit einem Franzosen online gezockt hatte.
    »Ich hoffe, die Mädels können uns helfen«, sagte er.
    »Wäre besser.«
    Wir mussten uns vorbeugen, um sie durch die Äste erkennen zu können. Sie lagen inzwischen auf der Seite, um ein wenig zu dösen, und hatten sich dabei die Rücken zugewandt. Die Gesichter bedeckten sie mit Armen, damit sie möglichst im Schatten lagen. Ich blickte von einer zur anderen und fragte mich, welche Maik ansah.
    »Meinst du, die sind gut in Französisch?«, fragte Maik.
    »Könnte ich mir schon vorstellen«, sagte ich.
    Dann lachten wir und sahen weiter hin.
    »Das Leben ist nicht fair.« Maik sprach plötzlich leise. »Da verlieben sich diese beiden Mädels in dich, und du wirst einfach überfahren.«
    Darauf gab es nichts zu erwidern. Schweigend starrte ich weiter hinunter. So wie sie dort lagen, wurden ihre Hüften betont. Trotzdem dachte ich an die Asche in den vier Beuteln.
    »Meinst du, er hatte was mit beiden?«
    »Nein!«, sagte ich scharf. Es war ein Reflex, Christoph zu verteidigen, er hatte nicht betrogen oder gelogen. Er hätte es mir erzählt.
    »He, das war nicht bös gemeint. Ich meine, alles, was Lena tut, beweist doch, dass er jederzeit auch mit ihr gekonnt hätte. Und könntest du Lena von der Bettkante stoßen?«
    »Wenn ich Selina hätte, ja.«
    »Und wenn nicht?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Das war rein theoretisch, schließlich war sie ja mit Christoph zusammen gewesen. Nun, vielleicht war er schwach geworden, nur kurz, einmal, betrunken auf einer Party, ein einziger Fehler? Aber daran wollte ich nicht glauben. Im Zweifel für den Angeklagten, und über Tote redete man nicht schlecht – all diese Grundsätze kamen mir in den Sinn. Galten die nicht erst recht für Freunde?
    »Ich meine, du hast Selina nicht«, hakte Maik nach und gab dem Gespräch eine ganz andere Richtung. »Du hast keine Freundin, du könntest also stoßen oder nicht, ganz wie du willst.«
    Natürlich konnte ich nicht, wie ich wollte – Lena saß nicht auf meiner Bettkante. Keine Lena, keine Selina, und beide sollten da auch nicht sitzen, sie waren Christophs. Aber das Bild von der sitzenden Lena war jetzt in meinem Kopf, die langen Beine übereinandergeschlagen, der Ausschnitt tief und die Lippen rot. Ich wusste nicht, wie ich sie runterstoßen sollte, auch wenn ich musste. Wegen Christoph. Aber es ging Maik eigentlich gar nichts an, wer auf meiner Bettkante saß.
    Was löcherte er mich überhaupt? War das nur kumpelhafter Small Talk über hypothetischen Sex, oder wollte er herausfinden, was ich

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