Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
schön waren, wunderschön, und gab das Telefon reihum weiter.
Pia sagte, sie würde mich vermissen, habe aber schon Freunde gefunden, und wollte gleich wieder raus zu ihnen. Mir blieb nur Zeit für ein: »Tschüs.«
Vater mahnte, wir sollten keinen Unfug anstellen. »Wer ist denn alles da?«
»Knolle und Ralph. Die übernachten auf Matratzen, und ihre Eltern wissen Bescheid.«
»Ist doch gut, wenn er nicht allein ist«, rief meine Mutter im Hintergrund und griff sich wieder das Telefon.
»Mir geht’s wirklich gut. Ganz ausgezeichnet«, betonte ich, während mein Herz laut schlug. »Aber könntet ihr vielleicht nicht jeden Tag anrufen? Sonst denken die anderen, ich bin ein Mamasöhnchen.«
»Ach, Schatz, das wollen wir natürlich nicht. Soll lieber Papa anrufen?«
»Nein, darum geht’s nicht, die sehen ja nicht, mit wem ich rede. Nicht jeden Tag anrufen, darum geht es.«
»Einverstanden. Aber du kannst ja mal anrufen, wenn gerade keiner im Zimmer ist.«
»Mach ich.«
»Wir vermissen dich.«
»Ich euch auch.« Das war die leichteste Lüge, weil es nur eine Abschiedsfloskel war.
Dann folgte ich Maik zu den anderen zurück, sprang jedoch nur die letzten drei Stufen. Ich war barfuß.
17
Am späten Nachmittag näherten wir uns der Grenze ein paar Kilometer südlich von Straßburg. In irgendeiner Kleinstadt füllten wir unsere Vorräte auf, und ich besorgte mir billige No-name-Sneaker, die Gummistiefel drückten zu sehr. Lena kaufte noch einen günstigen Schlafsack, damit jeder einen hatte, und zwei Isomatten, damit wir vier Unterlagen besaßen. Wir wollten irgendwo draußen schlafen, nicht auf einem Campingplatz, das passte besser zu unserem Trip. Zahnbürsten, starke Sonnencreme und andere Kleinigkeiten kauften wir auch, doch von Lenas Geld blieb genug, um uns ans Meer und zurück zu bringen. Wobei das Zurück uns im Moment nicht scherte.
Während wir alles verstauten, schlich auf der Straße ein Polizeiwagen vorbei, ganz langsam. Beide Beamte blickten forschend zu uns herüber. Wir gaben uns locker, und ich versuchte ein Lachen, als hätte einer einen Witz gerissen. Als würden böse Menschen nicht nur keine Lieder, sondern auch keine Witze kennen. Sofort hatte ich Bad von Michael Jackson im Kopf, because I’m bad, I’m bad, come on, bad, bad, really, really bad, you know I’m bad … Mein Vater drehte das Autoradio immer lauter, wenn das lief, und jetzt musste ich wirklich lachen, und das war gut. Das Letzte, was wir gebrauchen konnten, war eine Polizeikontrolle, bei der die Asche gefunden wurde.
»In Grenznähe dürfen die einen ohne Grund kontrollieren«, raunte Maik, obwohl sie ihn auf die Entfernung auf keinen Fall hören konnten.
»Warum?«, fragte Selina.
»Drogen.«
»Wir haben keine.«
»Aber Christoph. Wir haben Christoph dabei. Und dass das keine gewöhnliche Holzasche ist, kann jeder Profi leicht erkennen.«
Die Polizisten gaben Gas, wir atmeten durch.
»Wir dürfen einfach nicht auffallen«, sagte ich.
»Schwierig, mit dem da.« Selina deutete auf den Roller.
»Ich bin noch nie kontrolliert worden«, verteidigte Lena ihn.
Selina schnaubte.
»Weiter geht’s.« Maik schwang sich in den Sitz, und wir fuhren los. Mit Blinker und auch in der Zone 30 exakt innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung.
Als wir dem Rheinufer bald darauf Richtung Norden folgten, Wald zu unserer Rechten, tauchte ein kleiner, wenig protziger Jachtclub oder Bootsverleih auf. Drei Stege, an denen sich Segel aneinanderreihten, führten hinaus auf den Fluss, und dann bog die Landstraße links ab und führte hinaus auf eine kleine Halbinsel und schnurgerade über einen Staudamm auf eine bewaldete Insel, die schon zu Frankreich gehörte. Hier musste früher jeder kontrolliert worden sein, doch kein Schlagbaum und kein Grenzbeamter hielten uns auf. Es gab nicht einmal eine Ampel oder eine durchgehende weiße Linie auf dem Boden.
Ich blickte rechts hinunter, wo das Wasser träge und dunkelgrün dahinfloss, nur direkt unter uns, da, wo es den Damm hinabstürzte, kräuselte es sich zu weißem Schaum.
Selbst für Maik zu tief, um zu springen. Das konnte niemand überleben. Ich dachte an die Pistole in seinem Mund und daran, dass man nicht immer überleben wollte, wenn man sprang. Maik scherte vor uns tatsächlich nach rechts aus, und für einen Moment glaubte ich, er würde in die Tiefe schanzen, einfach über die Leitplanke hinweg, und Selina mit hinabreißen. Dann schwenkte er nach links und wieder nach rechts
Weitere Kostenlose Bücher