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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Lena Löcher in die Luft schießt.«
    Die Apfelbutzen waren auf einem quaderförmigen Felsbrocken tief im Steinbruch aufgereiht, der aussah wie ein uralter Opferstein. Lena hielt die Waffe in der Hand, bereit, in den Steinbruch hineinzuschießen. So würde sie nicht zufällig einen Spaziergänger oder seinen Hund treffen; bis zur Rückwand des Steinbruchs konnten wir alles überblicken.
    »Siehst du? Kann nichts passieren«, raunte ich Selina zu. Querschläger fürchtete ich nicht, obwohl ich das schon hundertmal im Film gesehen hatte.
    Sie nickte kaum merklich und starrte mit einer Mischung aus Abscheu, Furcht und Faszination auf die Waffe. Mir ging es ähnlich.
    »Pass auf.« Maik zeigte Lena, wie sie die Pistole halten sollte, am besten mit beiden Händen, um den Rückstoß abzufangen. Sekundenlang legte er seine Hand auf ihre und erklärte, wie man zielte. Er stand direkt neben ihr, ihre Körper berührten sich. »Nicht so verkrampft, du musst die Waffe als Teil von dir sehen.«
    Ich versuchte, ihm zuzuhören, aber ich starrte auf seine Finger, die sich an Lenas Finger schmiegten. Billard, Tennis, Schießen, alles dieselbe Masche. Darauf konnte sie doch nicht reinfallen? Endlich trat Maik einen Schritt zurück und ließ sie zielen.
    »Wenn du triffst, will ich auch«, sagte Selina plötzlich. Ich drehte mich zu ihr um, und sie zuckte mit den Schultern, dann sah sie wieder zur Pistole. »Ich hab noch nie mit einer echten Waffe geschossen.«
    »Girls and guns, yeah.« Maik grinste. »Immer wieder sexy.«
    »Willst du sagen, ich brauch dafür eine Waffe?« Selina blitzte ihn an.
    »Äh, nein.«
    Ich beachtete die beiden nicht, sondern sah Lena an. Breitbeinig stand sie da, der kurze Rock spannte an ihren Oberschenkeln. Es war nicht die gun , die sie sexy machte, sondern die Entschlossenheit in ihren Zügen, die Haltung und der leicht geöffnete Mund. Ihre Augen waren mitleidlos und hart, und ich fragte mich, ob sie sich jemanden als Ziel vorstellte. Ihre Mutter?
    Schwachsinn!
    Sie drückte ab. Laut hallte der Schuss von den hohen Wänden wider und schlug irgendwo ein. Ihre Arme wurden förmlich hochgerissen, die vier Apfelbutzen standen unbewegt in der Sonne.
    Lena stieß einen französischen Fluch aus und stampfte auf den Boden wie eine Siebenjährige, die beim Mensch ärgere dich nicht verloren hatte. Ich fand sogar das sexy. Dann hob sie die Waffe erneut. Sie suchte Halt auf dem felsigen Boden. Die Muskeln in ihren Beinen spannten sich an, das war sogar durch die Strumpfhose zu sehen. Eine breite Laufmasche zog sich über den rechten Oberschenkel bis unter die Kniekehle hinab. Kurz fragte ich mich, ob sie Sport trieb, und wenn ja, welchen. Die einfachsten Dinge wusste ich nicht von ihr, nur von ihren verborgenen Gefühlen für Christoph und von ihrer bekloppten Mutter. Als hätte ich sie falsch herum kennengelernt, von innen, nicht die Oberfläche zuerst.
    Konzentriert presste sie die Lippen zusammen und schloss das linke Auge. In ihrer Versunkenheit fand ich sie wunderschön, und in dem Moment gestand ich mir endlich ein, dass ich mich in sie verliebt hatte. Gegen jede Vernunft und auch nicht wegen irgendwelcher Geburtstags-Zahlenspiele – aber so war es. Vergeblich, weil sie noch immer Christoph liebte, und verboten, weil wir es uns geschworen hatten.
    Christoph ist tot.
    Ich sah zu dem Beutel Asche, den Maik auf einem Stein platziert hatte wie auf einem Thron. Tot, aber noch immer unter uns. Wir erfüllten hier seinen letzten Willen, dann sollten wir uns auch an Schwüre halten.
    Eva ist ne dumme Schlampe.
    Ich presste die Hände gegen meine Schläfen, als könnte ich so alle Gedanken zerquetschen – ich wollte das alles nicht.
    Lena schoss, und der zweite Apfel von rechts spritzte auseinander. Ein Fetzen wurde nach oben abgerissen, der Rest taumelte vom Felsen.
    »Oui!« Lena lachte und riss die Arme zur Siegerpose hoch.
    »Yeah!«, brummte Maik.
    »Jetzt ich!«, rief Selina, und ihre Augen glänzten. So schnell konnte man seine Meinung ändern.
    Plötzlich wollte ich auch schießen. Ich wollte treffen und Lena beeindrucken. Ich hatte früher oft auf dem Jahrmarkt geschossen und mir für jeden Treffer Aufkleber vom FC Bayern oder Totenköpfe ausgesucht. Als wir Jungs begannen, uns für Mädchen zu interessieren, hatte ich damit aufgehört. Für Mädchen Stofftiere zu schießen, kam mir bizarr vor, Waffen und Kuscheltiere brachte ich nicht zusammen. Ich steckte mein Geld lieber in den Autoscooter, um die

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