Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
Beutel, ließ ihn fast fallen und erwischte ihn gerade noch. Wir rannten zu unseren Maschinen, Lena kicherte noch immer wie besoffen.
»Mein Hintern braucht ’ne Pause«, stöhnte Selina.
»Wir halten gleich wieder an. Nur erst mal weg.« Maik verstaute den Beutel in der Satteltasche, ich stopfte die Pistole daneben und passte auf, dass das Plastik nicht riss. Maik zog sie wieder raus und sicherte sie, bevor er sie zurücktat.
Vorsichtig lugten die beiden Gestalten über die Felskante. Einer schwenkte sein Handy: »La police!«
Der andere schrie uns etwas hinterher, das wohl so etwas wie Scheißausländer bedeutete.
Wir schimpften auf Deutsch und Französisch zurück, doch unter dem Helm verhungerten die Flüche ziemlich. Also schwenkten Selina und ich unsere Mittelfinger, während Lena und Maik ihre Hände am Lenker hielten und die Motoren starteten.
Ich schwang mich hinter Lena auf den Sitz, packte den Gepäckträger mit der Rechten und hielt den linken Mittelfinger ausgestreckt, bis wir außer Sichtweite waren. Ich zeigte ihn der ganzen Welt, sie konnte mich mal. Sie konnte uns alle vier mal.
22
Auf den ersten zwei Kilometern drehten wir uns mehrmals um, aber keine Polizei folgte uns, keine Sirene heulte. Niemanden interessierte es, wenn man Felswände und Apfelbutzen erlegte. Wo sollte hier überhaupt eine Polizeistation sein?
Die Straße wand sich zwischen den auslaufenden Bergen dahin, Maik ließ den Motor aufheulen und brauste hupend davon, seine Maschine war gut dreißig km/h schneller. Dann drosselte er das Tempo wieder und ließ uns aufschließen.
Ich klammerte mich an den Gepäckträger, meine Oberschenkel lagen an Lenas Hüften. Ich musste einfach wissen, ob sie etwas mit Christoph gehabt hatte.
Grübelnder Idiot!
Vielleicht war sie ja seine Halbschwester und deshalb auf dem Friedhof gewesen. Aber so gestylt? Nein, das hätte sie längst zugegeben. Es sei denn, es wäre ein Geheimnis, ein Seitensprung seines Vaters mit ihrer Mutter. Das klang nicht wahrscheinlich und nach einer schlechten Soap. Außerdem sollte man die Finger auch von den Schwestern seiner Freunde lassen.
Sie ist nicht seine Schwester!
Ich beugte mich so weit nach hinten wie möglich, und machte die Beine breit, um Lena möglichst wenig zu berühren. Jeder Abstand war gut.
Ein Auto bretterte hupend von hinten heran, und ich dachte, es wären die zwei Idioten, aber es raste nur mit bestimmt 140 Sachen ganz nah an uns vorbei und kaum langsamer in die nächste Kurve. Der Fahrtwind presste uns fast über den Straßenrand, Lena fluchte, und ich winkte wieder mit dem Mittelfinger.
»Der ist nicht von Amnesty Apfelbutzen!«, rief ich, und Lena kicherte wieder los und machte den nächsten Schlenker Richtung Straßenrand.
»He!«
»Da war ein Apfelbutzen«, schrie sie. »Dem musste ich ausweichen.«
Ich streckte den Arm aus und zeigte ihr den erhobenen Daumen. »Amnesty ist stolz auf dich.«
Etwa zehn Kilometer hinter dem Steinbruch erreichten wir auf einer Anhöhe einen kleinen umwaldeten Parkplatz mit zwei Tischen und Bänken und einem Kreuz an der Ausfahrt und hielten an.
Das Kreuz war aus dunklem Holz und traf mich mit voller Wucht; genau hier war jemand auf der Straße gestorben. Wie Christoph. Mit einem Schlag dachte ich an den Moment seines Tods, an sein Sterben, wie ich es mir hundertmal vorgestellt hatte, ohne es zu wollen. An die Bilder, die mich Nacht für Nacht überschwemmt hatten wie echte Erinnerungen, an die Schmerzen und das Blut überall und die Schreie, die er ausgestoßen haben musste. Schreie, die sich in meinen Träumen mit denen von Schweinen beim Schlachter vermischten, weil ich nie einen Menschen hatte sterben sehen, nicht in Wirklichkeit. Träume, die ich dafür gehasst habe, die sich nicht darum scherten und wiederkehrten, wieder und wieder. Ich wollte einfach nur weg, aber Selina wollte bleiben, und so blieben wir. Ich spürte Schweiß aus meinen Poren kriechen, meine Hände wurden zittrig, und ich wollte den Kopf gegen eine Wand schlagen, nur nicht vor den anderen, und überhaupt gab es hier keine Wände. Mit der Rechten fuhr ich mir mehrmals über den Kopf, aber das half nicht. Ich presste die Lippen zusammen, um nicht zu schreien.
Auch Selina hatte das Kreuz bemerkt, und während sich Lena und Maik streckten und über die Idioten aus dem Steinbruch lachten, schlenderte sie hinüber. Langsam folgte ich ihr. Sie ging vor dem Kreuz in die Hocke. Es war aus Holz und vielleicht einen halben Meter
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