Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
schweifen. »Klettern.«
»Und jetzt?«, fragte Maik.
»Sehe ich ihn kaum noch. Nach der Scheidung ist er in München geblieben, und meine Mutter hat Höhenangst.«
»Hast du Geschwister?«
»Zwei ältere Brüder. Sind auch in München geblieben, aber wohnen allein, jeder für sich. Armin studiert Jura, Tommy zieht um die Häuser und boxt.«
»Als Profi?«
»Nein. Er muss nur irgendwohin mit seiner Energie.« Sie hob einen Stein auf und warf ihn in den Steinbruch. »Früher ist er oft mit Vater aneinandergeraten, einfach so.«
»Einfach so?«
»Ich glaub schon. Aber da war ich noch in der Grundschule.«
Ich wollte gern wissen, warum ihre Eltern sich getrennt hatten, traute mich jedoch nicht zu fragen.
»In der Grundschule hab ich auch nicht alles gerafft.« Maik lachte und warf einen größeren Stein.
»Ich weiß nicht, was ich gerafft hätte. Mir hat keiner was gesagt.«
Christoph und ich kletterten durch den Steinbruch von Sollnhofen, seine Eltern warteten im Schatten und sahen uns zu. Wenn wir uns einer steilen Stelle näherten, rief seine Mutter: »Obacht!«
Jeder durfte dort nach Fossilien suchen, und wir klopften die Steinplatten mit einem schmalen Meißel vorsichtig auseinander. Wir fanden schneckenartige Ammoniten und Zeug, das wie Farne aussah, Christoph sogar einen fingerlangen Fischschwanz. Stolz zeigte er ihn seinen Eltern.
»Schön, wirklich schön«, sagte seine Mutter. »Dann können wir jetzt gehen?«
»Noch nicht.« Er rannte zurück. »Wir brauchen noch den Kopf.«
»Mach dich nicht noch weiter schmutzig«, rief sie ihm hinterher.
Fünf Minuten lang achteten wir auf unsere Hosen, dann war alles vergessen. Den Fischkopf fanden wir nicht.
Ich fragte mich, wo der Fischschwanz abgeblieben war und wer wohl den Kopf gefunden hatte.
»Hörst du eigentlich lauter so Zeug wie AC/DC?«, fragte Maik.
»Manchmal«, sagte Lena. »U.D.O. und Judas Priest sind coole alte Säcke. Am liebsten höre ich aber Florence + the Machine.«
Ich grinste.
»Was?«, fragte sie scharf.
»Nichts. Ich dachte nur, von Hells Bells zu einer Harfe ist ein weiter Weg.«
»Gute Musik ist gute Musik.« Sie kniff ein Auge zu. »Magst du Florence?«
»Ja. Dog Days are over ist geil.«
»Das wollten wir mal covern.«
»Du spielst in einer Band?« Ich war beeindruckt.
»In München damals.«
»Und jetzt?«
»Jetzt haben sie eine andere Sängerin. Eine bessere.«
»Wer sagt das?«
»Alle.«
»Sing was!«, verlangte Maik und lehnte sich lässig zurück. Mit der Pose konnte er dem Bohlen jeder Jury locker Konkurrenz machen.
»Nein.«
»Komm schon! Es lacht auch keiner.«
»Vergiss es!«
Mit einem Schulterzucken zückte Maik sein Handy und tippte irgendwas. Wir schwiegen wieder.
»Darf ich mal mit deiner Pistole schießen?«, fragte Lena in die Stille hinein. Die Felswände schluckten alle Geräusche von der Straße, nur ein paar Krähen krächzten über uns.
»Wenn du singst.«
»Leck mich.«
Er lachte. »Wann?«
»Sehr witzig.«
Einen langen Moment sah er sie an. »Warum willst du schießen?«
»Weil ich es noch nie getan hab.«
»Noch nie? Nicht mal als Kind auf dem Jahrmarkt?«
»Meine Mutter hat es verboten.«
»Wenn deine Mutter es verboten hat, dann mit dem größten Vergnügen.«
Er klaubte die Apfelbutzen zusammen, die wir auf den Boden geschmissen hatten, und klemmte sich den Beutel Asche unter den Arm. »Komm mit, alter Junge.« So stapfte er mit Lena weiter in den Steinbruch hinein.
Als ich hinterherwollte, hielt mich Selina am Handgelenk zurück und raunte mir ins Ohr: »Der ist doch nicht ganz klar im Kopf.«
»Es ist Maik«, entgegnete ich, als würde das alles erklären. Für mich tat es das auch.
»Ach, wenn man Maik heißt, darf man rumballern und Christophs Asche überallhin mitschleppen?«
»Nein …«
»Kommt ihr auch?«, brüllte er in dem Augenblick, und ich brüllte zurück: »Gleich!«
»Du kannst da allein hingehen«, fauchte Selina.
»Maik ist ein Spinner, aber er ist in Ordnung. Sonst wäre Christoph nicht mit ihm befreundet gewesen.«
»Er wollte sich erschießen, das ist nicht in Ordnung. Und jetzt macht er wieder mit der Waffe rum.«
»Es war nicht seine Idee.«
»Verdammt, Jan, du warst doch immer der, der nachgedacht hat! Also denk!«
»Sieh es einfach wie Jahrmarkt. Wir merken es, bevor er richtig austickt.«
»Ach ja?«
»Ja.«
»Und dann?«
»Klau ich ihm die Waffe.«
»Aber wirklich! Sonst mach’s ich.«
»Ja. Und jetzt lass uns zusehen, wie
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