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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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hoch und steckte in einer Rasenfläche am Straßenrand. In seinem Rücken lag ein hellgrauer Findling, auf den Leute ihren Namen geschrieben hatten wie auf ein Gipsbein.
    Als würde hier irgendetwas heilen! , dachte ich gehässig, und dann kamen mir Kondolenzbücher in den Sinn, und vielleicht war es das. Warum hatte Christoph keinen solchen Findling bekommen?
    Um das Kreuz herum waren kleine blaue und ein paar hohe gelbe Blumen gepflanzt. An ihm hing keine Jesusfigur, nur ein schlichtes Schild mit zwei Namen und einem Datum aus dem letzten Jahrzehnt, 12.12.2005. Ich war froh, dass keiner der Namen Christoph lautete.
    Selina verharrte in der Hocke. Obwohl sie die Hände nicht gefaltet hatte, wirkte sie versunken wie beim Gebet.
    »Glaubst du an Gott?«, fragte ich leise.
    »Ich weiß nicht. An irgendwas schon«, sagte sie nach einer Weile und blickte weiter auf das Kreuz. Es war deutlich, dass sie nicht reden wollte.
    Am liebsten hätte ich das Kreuz rausgerissen und auf dem Stein zerschmettert. Ich war es leid, überall den Tod zu sehen, und ich wollte alles zerstören, was an ihn erinnerte, als könnte das jetzt noch Christoph helfen. Ich hasste den Tod. Ohne auch nur einmal nach dem Kreuz zu greifen, drehte ich mich um und ging zu den anderen zurück. Ich würde das verdammte Ding nicht mehr ansehen.
    Auf dem Parkplatz stand noch ein neuer roter Kombi, und an einem der beiden Tische saß eine Familie mit zwei Jungen im Grundschulalter, der ältere blond, der andere mit dunklen Locken wie seine Mutter. Sie aßen belegte Brote und geschnittenes Obst aus Plastikbehältern. Trotz der Hitze trug der Vater lange Hosen und ein Hemd, die Mutter ein buntes geblümtes Kleid und Goldschmuck wie für eine Feier. Der blonde Junge deutete auf Lenas Roller und rief seine Begeisterung über das aufgemalte Skelett hinaus.
    »Wow!«, sagte auch der andere Junge, und sie sprangen beide auf.
    Die Mutter rief sie zurück, ihr Blick verriet weniger Begeisterung.
    Lena, die mit Maik immer noch beim Roller stand, winkte freundlich, die Mutter und der Vater grüßten reserviert zurück. Die Kinder wollten sich auf den Roller setzen, nur einmal, und bettelten bei ihrer Mutter. Schon seltsam, welche Faszination Tod und Knochen auf kleine Jungen ausübten. Die Mutter wehrte ab, sie sollten keine Fremden belästigen. Der Vater nickte und aß das letzte Stück Brot.
    Lena rief hinüber: »Kein Problem.«
    Die Jungen hüpften auf und jammerten »Bitte, bitte!«, bis die Mutter nachgab. Dann wetzten sie zu Lena und Maik. Ich ging zum zweiten Tisch und lehnte mich dagegen.
    Beide Jungen wollten den Schädelhelm aufsetzen, natürlich setzte sich der Ältere durch, und der Jüngere musste sich mit dem Gehirn begnügen. Lena half den beiden beim Aufsetzen und klappte die Visiere hoch. Maik hob sie in den Sattel.
    »Papa, ein Foto!«, forderten sie lautstark, und er tat ihnen den Gefallen.
    »Noch eins, noch eins!«, riefen sie und schnitten furchterregende Grimassen, grüßten militärisch und machten das Victory-Zeichen. Der Vater knipste und knipste, und Lena fragte höflich, ob sie auch eines machen dürfte.
    »Natürlich«, sagte der Vater.
    »Merci«, sagte die Mutter, als Maik die Kinder wieder herunterhob. Diesmal lächelte sie ehrlich und bot uns in Viertel geschnittene Äpfel an.
    Dankend lehnten wir ab und stellten uns an den anderen Tisch. Zum Sitzen schmerzten unsere Hintern zu sehr.
    Die Mutter murmelte etwas zu den Kindern, und sie plärrten laut: »Merci!«
    »Äpfel! Warum Äpfel?« Lena schüttelte den Kopf. Dann sah sie zu Selina hinüber, die inzwischen auf die Knie gesunken war, und fragte mich: »Betet sie?«
    »Nein.«
    »Hat Christoph …« Sie zögerte kurz. »War Christoph eigentlich Christ?«
    »Nee.« Jetzt zögerte ich. »Ich glaube nicht. Er war getauft, klar, aber er ging nur Weihnachten und Ostern mit seinen Eltern in der Kirche. Und bei Hochzeiten und so. Aber über Gott hat er nie gesprochen, und gebeichtet hat er auch nicht, hat er mir gesagt. Was er tat, ging den Pfarrer nichts an.«
    »Und gebetet?«
    »Nicht dass ich wüsste. Vor zwei, drei Jahren hat er sich mal neben mir bekreuzigt, dann verblüfft seine Hand angesehen und gelacht. Es war ein Reflex, kein Glaube.«
    Sie nickte, und ich fragte mich wieder, wie gut sie Christoph gekannt hatte.
    »Außerdem war er ein Skater und hatte 667 – neighbour of the beast auf sein Board geschrieben«, erzählte Maik. »Einmal hat ihn ein Typ darauf angesprochen, und

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