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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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nun eine ganze Ladung Schimpfwörter aus seinem Mund, und diesmal verstanden wir sie, zumindest die Hälfte, die wir kannten. Ich verstand etwas von Krieg und Grenze und Verrat und wieder irgendwelche Schimpfwörter. Der Typ war stinksauer, und dennoch lächelte er.
    Plötzlich lächelte auch Selina. »Merci, merci.«
    Ich fragte mich, ob sie jetzt durchtickte oder ob das ihr Versuch war, mit einem Bekloppten zu reden. Dann grinste Lena: »Oui, merci.«
    Langsam fügten sich die Worte des Bauern auch in meinem Kopf zusammen, und ich schnallte alles als Letzter, wenn man von Maik absah, der gar nichts verstand. Die Wut des Bauern bezog sich auf seinen dreckigen Schweinenachbarn, den Sohn einer Uhr , wie er auf Deutsch radebrechte. Er ermutigte uns, ihm haufenweise Äpfel zu klauen. Was wir nicht mitnahmen, sollten wir ruhig von den Bäumen schütteln und gern auch zertrampeln oder draufpissen, der hätte das nicht anders verdient.
    Jetzt lachte ich auch und bedankte mich, und Maik tat es mir mit einem Schulterzucken gleich.
    »De rien, de rien!«, wiegelte der Bauer ab und legte wieder einen Gang ein.
    »Gehört ihm der letzte Hof im Dorf?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf und pflügte weiter.
    Maik und ich sprangen über den Zaun und blickten kurz zum Bauern zurück, aber er schien das wirklich so gemeint zu haben. Die Mädchen blieben zur Sicherheit bei den Karren. Der Bauer nickte auf seinem alten Traktor und lachte und reckte den Daumen in die Höhe.
    »Was für ein Spinner«, sagte Maik, dem ich alles kurz zusammenfasste. »Geiler Typ.«
    Ich stieg auf den ersten Baum, Maik blieb unten, um die Äpfel in Empfang zu nehmen. Aus seiner Jacke knotete er eine behelfsmäßige Tasche. Ich klammerte mich an einen schrägen Ast und begann mit dem Pflücken. Da mich die Mädchen anstarrten, rief ich: »Hunger?«
    »Ja!«
    »Dann fangt!«
    Den ersten Apfel warf ich für Selina, sie hatte die ganze Zeit am lautesten nach Frühstück verlangt. Außerdem zickte Lena heute nur rum, die sollte sich nur nichts einbilden.
    Rasch beugte ich mich vor und warf. In der Hast verfehlte ich Selina, und der Apfel flog zufällig genau in Lenas Hände. Hätte ich genau gezielt, hätte ich nicht besser treffen können.
    »Danke.«
    Selina presste die Lippen zusammen und hielt den Kopf schief.
    »Bitte.« Hastig riss ich einen viel größeren Apfel für Selina vom Ast, und diesmal erreichte er sie zum Glück auch.
    Ohne die Schale abzurubbeln, bissen beide hinein.
    Das nächste Dutzend Äpfel ließ ich zu Maik hinunterfallen, der alle in der Jacke sammelte. Dann stieg er auf einen Baum, weil er auch sammeln wollte. Wie bekloppt rüttelte er am erstbesten Ast, und die Äpfel polterten um mich herum zu Boden, einer knallte mir auf die Schulter.
    »Hey!« Ich sprang zur Seite.
    Der Bauer hinter uns hupte vor Vergnügen.
    Maik lachte und pflückte dann die Früchte von einem anderen Ast, um sie mir zuzuwerfen. Wir nahmen so viele, bis die Satteltaschen und der Rucksack randvoll waren, und stopften noch ein paar in die festgeschnallten Decken und Schlafsäcke.
    Dann biss ich in einen Apfel, und es war der beste, den ich je gegessen hatte. Leicht säuerlich und fest, und doch saftig und intensiv. Gierig leckte ich mir jeden Tropfen von den Lippen und verschlang ihn mit wenigen Bissen, fast hätte ich sogar das Kerngehäuse mitgegessen. Ich schleuderte es in die Plantage.
    Ich aß einen zweiten Apfel, Lena und Selina auch, Maik keinen.
    Noch bevor wir die Helme wieder aufgesetzt hatten, klingelte Lenas Handy. Es klang wie Kirchturmglocken, und erst als die sägende Gitarre einsetzte, erkannte ich AC/DCs Hells Bells .
    »Mama?«, fragte sie. Auf ihrer Nasenwurzel zeigten sich Falten, die Mundwinkel zogen sich nach unten. Während ihre Mutter sprach, strich sie sich den Rock glatt.
    »Das interessiert dich doch sonst auch nicht!«, sagte sie bockig.
    (…)
    »Nein.« Nun sprach sie leiser.
    (…)
    »Nein.« Noch leiser.
    (…)
    »Du sagst doch immer, dass man nicht lügen soll. Aber es gibt kein Gebot, das das Schweigen verbietet.«
    (…)
    »Ich ehre, wen ich ehren will.«
    (…)
    »Verdreh mir nicht immer die Worte im Mund. Ich hab nie gesagt, dass ich dich nicht ehre. Und schon gar nicht viel weniger als Vater.« Ihr Kinn zitterte, und ich konnte nicht mehr hinsehen. Auf der Straße unten raste ein PKW entlang.
    »Nein, keine Drogen«, versicherte Lena ihrer Mutter, eher gelangweilt als genervt, als wäre es Routine. Was hatten Eltern immer

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