Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
aber er wollte auf keinen Fall an ein Ende glauben. Und ich auch nicht.«
Wir schwiegen.
Ich fragte mich, warum ich nie richtig mit ihm darüber gesprochen hatte. Warum er es mir nicht von sich aus erzählt hatte.
»Heißt das, dass nach seiner Vorstellung seine Seele noch an seiner Asche hängt? Also in den Beuteln?«, fragte Lena.
Wir sahen hin. Die Luft hinter dem Roller flirrte, wie sie das an heißen Sommertagen oft tat, doch jetzt war es unheimlich. Es war, als würde sich dort etwas bewegen und winden.
»Nein.« Selina schüttelte den Kopf.
»Und warum bringen wir sie dann ans Meer?«, fragte Maik.
»Es war sein Wunsch«, erinnerte ihn Selina leise. »Und daran glaube ich.«
Noch immer flirrte die Luft über dem Asphalt, und ich konnte den Blick nicht abwenden. Es war wie ein Spiel, darin eine Form zu erkennen, einen Schemen, aber woher sollte ich wissen, wie Seelen aussahen?
Ich wollte unbedingt etwas wahrnehmen, einen Beweis, dass es unsterbliche Seelen gab, dass Christoph uns begleitete, doch vergeblich. Es war einfach die vertraute Unschärfe in der Luft, die sich an heißen Tagen oft zeigte.
Langsam stand ich auf und ging zur Straße. Das Flirren hing über dem ganzen Weg, den wir gekommen waren. So lang und groß konnte nicht einmal seine Seele sein. Ich blickte in die andere Richtung, und auch dort flirrte die Luft. Da konnte er unmöglich schon sein. Da fahren wir erst noch hin, dachte ich, und dann fielen mir die Namen auf dem Kreuz ein: Vielleicht waren es die beiden?
»Was machst du da?«, rief Maik.
»Nichts.« Ich schüttelte den Kopf und wischte mir Schweiß von der Stirn. Die Hitze stieg mir zu Kopf.
»Dann komm wieder her. Christoph und mein Kennenlernen war zu banal, um es zu erzählen. Ich erzähl euch was Besseres.«
Ich drehte mich um und schlenderte zurück, ohne zum Kreuz hinüberzublicken. Ich stellte mich bewusst nicht neben Lena, aber das brachte nichts. So stand ich ihr gegenüber und musste sie ansehen.
23
Maik hatte wohl alle Halfpipes im Umkreis von fünfzig Kilometern befahren, skatete Freestyle und hing meist mit anderen Skateboardern ab. Mit Christoph traf er sich vor allem in den Stauden, um auf kurvigen Straßen die Hügel der Westlichen Wälder downhill zu brettern.
Kurz nach Christophs vierzehntem oder fünfzehntem Geburtstag radelten sie wieder einmal zusammen hin. Es war ein kühler Tag für die erste Augusthälfte, graue Wolken zogen tief am Himmel entlang, immer wieder frischte kurz Wind auf.
»Ich hab eine Nebenstraße mit zwanzig Prozent Steigung gefunden«, erzählte Maik begeistert. Solange die Straße nicht regennass war, war das Wetter egal.
»Hammer.«
»Da kriegst du so ein Tempo drauf, dass du den schmalen Abzweig auf halber Höhe erwischen musst, um auszutrudeln. Der führt wieder bergauf.« Er lachte. »Wenn du bis unten fährst, zerreißt’s deine Rollen, oder die schmelzen vor Reibungshitze.«
»Cool.« Begeistert trat Christoph schneller in die Pedale, und sie radelten weit in die Stauden hinein.
Schließlich standen sie oben auf dem Hügel und blickten die Straße zwischen Feldern und dem Rand des Nadelwalds hinab. Die Mittelstreifen waren bleich und abgefahren, der Rand der Straße brüchig und unregelmäßig. In der ersten Biegung lagen zwei Futterrüben, die von einem Anhänger gefallen sein mussten.
»Da geht’s weit runter«, sagte Christoph. Seine Stimme zitterte.
»Verdammt weit.« Maik deutete hinab. »Wo die Straße hinter den Bäumen verschwindet, kommt eine langgezogene Linkskurve, und darin ist links die Abzweigung. Ist ein schmaler Weg aus Betonplatten zu den drei Einsiedlerhöfen jenseits der Kuppe. Den musst du kriegen. Ist aber nicht zu übersehen.« Er lachte. »Mich hat’s da das erste Mal nach fünfzig Metern voll gelegt, aber nicht schlimm. Die Platte da ist löchrig und voller Risse.«
»Shit. Und ich hab die neuen Klamotten an.« Christoph sah auf seine Beine hinab, als bemerkte er erst jetzt, welche Hose er trug. »Geburtstagsgeschenk.«
»Willst du deswegen jetzt kneifen?«
»Kneifen?« Er tastete mit den Händen vorsichtig über den Stoff. »Wenn ich die kaputt mache, macht mein Vater mich kaputt.«
Maik lachte.
»Scheiße, Mann. Wenn da nur ein winziges Loch drin ist, kann ich auch gleich einem Traktor in den Kühlergrill schanzen oder mich vor einen Mähdrescher werfen. Mein Vater bringt mich um.«
»Pok, pok, pok.« Maik schlug mit den angewinkelten Armen, um Hühnerflügel zu simulieren.
»Nee,
Weitere Kostenlose Bücher