Vier Fäuste für ein blaues Auge: Wie der Wilde Westen nach Deutschland kam (German Edition)
brauch zwanzig Jahre, bis ich es raffe, ich glaub’s nicht.
Wortspiel? Welches Wortspiel?
Ach … nix.
Der Sani-Peter war nicht nur ein saunetter Kerl, sondern eben oft auch eine große Hilfe, wenn es darum ging, etwas so zu verarzten, dass es zumindest bis zum Eintreffen des Krankenwagens nicht die gesamte Mainstreet besudelte.
In diesem Fall nickte er mir nur beruhigend zu. Das sei überhaupt kein Problem, ich müsse mir keine Sorgen machen. Diffuse Erinnerungen an die Campingurlaube mit meinem Vater schrien irgendwo in meinem Unterbewusstsein danach, von mir richtig gedeutet zu werden. Es drohte Gefahr. Aber ich kombinierte den damaligen Wildcamper-Wahnsinn mit seinen Feuerquallen, Seeigeln, Gasexplosionen und anderen lebensgefährlichen Momenten nicht mit dieser Situation. Darüber, ob das gut oder schlecht war, dürfen Sie jetzt gleich selbst urteilen. Der Sani-Peter wies mich an, ich solle schon mal im Sheriff’s Office die Hose hochrollen, er müsse nur noch schnell etwas besorgen.
In der Annahme, dass er sich nun um so etwas wie Jod und Verbandsmaterial bemühen würde, rollte ich mit einiger Mühe die Hose über das geschwollene Bein und setzte mich artig auf den wackeligen Stuhl zwischen Gefängniszelle und Ofen, um auf seine Rückkehr zu warten.
Wenig später betrat der Sani-Peter den halbdunklen Raum. Hinter ihm duckte sich eine weitere, hochgewachsene Person durch die niedrige Türe und sah mich undurchdringlich an: Es war einer meiner liebsten und talentiertesten Kollegen mit dem Namen Robert Böhnlein, in No Name City höchst adäquat nur Long John genannt. Nebenbei bemerkt, erfuhr ich seinen richtigen Namen erst Jahre später durch Zufall, als er irgendwas unterschreiben musste und ich daneben stand. Bis dahin war er für mich einfach immer Long John gewesen, und irgendwie ist er das heute noch.
Long Johns Blick erklärte sich auch recht schnell, denn er kniete sich wortlos neben mich und holte ein Bowiemesser heraus.
»Wollt ihr mir jetzt den Haxn amputieren?«, witzelte ich noch, verstummte aber sofort, als der Sani-Peter eine Flasche Tequila zückte und dessen hochprozentigen Inhalt über das Messer laufen ließ. Long John öffnete die Ofenklappe und hielt das Messer hinein. Der Alkohol fing sofort Feuer und tanzte über die blitzende Schneide des Messers.
»Da«, sagte der Sani-Peter dann und hielt mir ein daumendickes Stück Holz entgegen. Seltsamerweise verstand ich sofort, was er meinte. Schweigend fischte ich mir aber zuerst die Tequila-Flasche aus seiner Hand, nahm einen mehrzügigen Schluck daraus und gab sie ihm wieder zurück. Dann erst nahm ich das Holz zur Hand und schob es mir quer zwischen die Zähne.
Was nun geschah, konnte ich selbst nicht sehen, da ich knien musste, damit der Sani-Peter meinen Unterschenkel bearbeiten konnte. Long John beschreibt die ganze Prozedur aber bis heute immer wieder gerne an diversen Lagerfeuern, und ich durfte einige Male dabei sein, damit er jemanden hatte, auf den er lachend zeigen konnte. Da er später sowohl als Darsteller als auch als Feuerwerker für unsere Produktion »Bernd das Brot« beschäftigt war, gab es immer wieder Gelegenheiten, diese Geschichte zum Besten zu geben, um damit beim restlichen Team folgendes Bild im wahrsten Sinne des Wortes einzubrennen:
Ihr Regisseur Tommy K. kniet mit einem Holz in der Fresse vor einem Ofen, während ihm ein Hilfssheriff namens Sani-Peter mit einem heißen Messer jede Menge Eiter aus dem Schenkel schabt. Die unterdrückten Gurgellaute des Herrn K. ignorierend, wird daraufhin das Ganze mit Tequila aufgefüllt, der – vermutlich des Effekts wegen – kurz angezündet und flugs unter einem Tuch erstickt wird, bevor er mehr in Brand setzt als die umliegende Beinbehaarung.
So war das halt im Wilden Westen.
Ja, aber wir waren eigentlich in einem Freizeitpark.
»Europas authentischste Westernstadt« bitte. Gibt’s da ein Foto von der Operation?
Nein, aber eine Narbe.
Ist doch eine wirkungsvolle Erinnerung an eine schöne Zeit.
Siehst du, wie ich nicht lache?
Ja, haha!
Das Nächste, was ich spürte, war etwas seltsam Sähmig-Zähes, das abermals mit dem Messer auf die Wunde aufgetragen wurde. Long John klärte mich später auf, dass es sich um sogenannte Pferde-Zugsalbe handelte: Ein teerartiger, rabenschwarzer Bampf, den man gemäß dem Namen bei Pferden benützt, wenn sie sogenannte Drusen, Abszesse oder andere Entzündungen haben. Das Ganze ist erwiesenermaßen recht effektiv und
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